Am Späti in Lichtenrade
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“Jugendliche wissen heutzutage gar nicht mehr, was sie machen sollen”
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, der sich über Jugendliche aufregt und für den Hertha das größte Glück ist.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die “Am Späti” entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Ich bin in Kreuzberg groß geworden. Vor etwa 20 Jahren bin ich dann rausgezogen nach Lichtenrade. Ich arbeite im Versorgungsamt, stelle Schwerbehindertenausweise aus, kümmere mich um die Wertmarken für Behinderte und so weiter.
Im Moment bin ich krankgeschrieben. Der Kiosk hier, das ist unser Treffpunkt. Ansonsten gibt es nicht mehr viel. Nicht nur hier in Lichtenrade gibt es nichts, auch in Neukölln oder Kreuzberg nicht, die ganzen Lokalitäten für ältere Leute wurden ja zugemacht. Zum Beispiel Tanzpalast oder Neue Welt – das gibt es alles nicht mehr. Das ist nicht mehr wie früher.
Neben dem Tisch steht ein Fahrrad, ein Mann tastet mit seinem Blindenstock das Rad ab. Der Versorgungsamtler beobachtet ihn dabei, sagt nichts. Der Blinde schimpft über das Rad, findet dann seinen Weg und geht vorbei.
Ich würde mir mehr Angebote für die Jugendlichen wünschen, die wissen ja heutzutage gar nicht mehr, was sie machen sollen. Wenn sie nicht zur Schule gehen, dann machen sie Blödsinn. Es gibt keine Jugendheime mehr wie früher. Ich bin nach der Schule immer in ein Jugendheim gegangen, da konnte man sich amüsieren. Ich habe zum Beispiel Fußball gespielt. Das gibt es heute alles nicht mehr. Heute ist nur noch Brutalität und Krawall.
Das sieht man auch bei uns hier in Lichtenrade. Die kommen aus anderen Gegenden, belagern unsere Häuser und schmeißen Sachen aus den Fenstern, zerstören den Fahrstuhl. Ich habe hier schon ruhiger gewohnt als in der letzten Zeit. Wir haben einen Concierge bei unserem Haus, aber der ist bloß ein paar Stunden da. Und die Jugendlichen kommen meist erst am späten Nachmittag. Dann sind sie in einer größeren Clique, fühlen sich stark, auch gegenüber Älteren teilweise.
Er sitzt am Tisch vorm Späti mit zwei anderen Stammgästen, trinkt seine Paulaner Spezi aus einem Pappbecher. Bei manchem, was er sagt, schaut er zu den anderen beiden, holt sich ihre Zustimmung.
Ich fühle mich schon unwohl deswegen. Wenn ich was zu ihnen sage, dann höre ich: “Wir wissen, wo du wohnst”. Unser Polizeiabschnitt ist schon eine ganze Weile zu wegen Umbauten. Auch die Alkoholiker auf dem Platz hier sind unschön anzusehen. Ab der Mittagszeit geht das los, dann sitzen sie da hinten. Hier sind auch Kinder, die spielen. Das Wasser beim Springbrunnen wurde aber wegen Unfallgefahr abgestellt.
Über den Platz fährt eine Frau im elektrischen Rollstuhl. Vom Nachbartisch aus brüllt ihr jemand zu: “Ey, fahr mal 100”. Die Frau im Rollstuhl lacht und beschleunigt. Der krankgeschriebene Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bleibt ernst.
Von der Politik fühle ich mich schon jahrelang nicht mehr angesprochen. Sie versprechen alles Mögliche und wenn die Wahlen vorbei sind, stehen sie da alle mit ihren Kugelschreibern und ihren Heftern, aber umsetzen tut keiner was. Erst führen sie das Neun-Euro-Ticket ein und schon wird es wieder teurer oder wird weggenommen. Sowas ist doch keine Planung. Selbstverständlich mache ich trotzdem von meinem Wahlrecht Gebrauch.
Bei Norma gibt es nichts Ordentliches zu kaufen, das ist wie ein Intershop zu DDR-Zeiten, oder eine Resterampe, nur Notverkauf. Auch vom Service her: Da ist nur ein Angestellter drin, der soll die Ware einräumen, die Kasse machen und alles. Die Diebstahlrate ist hier sehr hoch.
Glücklich bin ich, wenn Hertha gewinnt. Das ist hier unser Verein. Aus gesundheitlichen Gründen war ich jetzt leider länger nicht im Stadion. Der Vorbesitzer vom Kiosk hat vor den Spielen manchmal Pizza gemacht, bei dem jetzt gibt es manchmal eine Wurst.
Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24