Berlin. Ein Hörgerät kommt ihm erst an die Lauscher, wenn es nicht gleich als Prothese zu identifizieren ist, meint Kolumnist Hajo Schumacher.
Wie bitte? Was hat die Gattin aus dem Liegestuhl gerufen? Wein saufen? Am frühen Nachmittag? Leider eine Freudsche Fehlhörung. Einkaufen, hat sie gesagt. Wird erledigt. Aber erst noch die Küche feudeln. Ich höre sehr gut, vor allem wenn ich meine Hand zur Satellitenschüssel forme und um die Ohrmuschel lege. Sieht ein wenig peinlich aus, deswegen täusche ich ein Kratzen vor. An manchen Tagen ist mein Ohr feuerrot. Überkratzt. „Die modernen Geräte sieht man kaum noch“, hat die Gattin neulich gesagt. Habe ich überhört.
Hörhilfen waren wie Penispumpen – oft nötig, aber man zeigt sich halt ungern damit. Gute Nachricht in der Multikrise: Lauschen darf jetzt sichtbar sein. Vorbei die entwürdigenden haarfeinen, hautfarbenen Kabel, die sich diskret durch die Ohrhaarbüschel schlängelten. Sollte keiner sehen, aber alle starrten drauf. Was mal der Tesla-Schlüssel war, ist heute die Hörhilfe: sichtbarer Nachweis eines Lebens auf höchstem technologischen Niveau. Teenager tragen monströse Kopfhörer, die aussehen, als hätte man Servierglocken an die Lauscher geflanscht. Geschäftsleute lassen zum Telefonieren Strippen aus den Ohren baumeln und bellen das Kabel an. Trendmenschen wiederum stecken drahtlose Ohrstöpsel vom Ausmaß einer Gewürzgurke in den Gehörgang, damit der Bass ordentlich schallert und Platz ist für das Herstellerlogo. Was wäre der Burnout ohne Tinnitus?
Aus unserem Kiez sind die Szenebars verschwunden, dafür gibt es inzwischen fast so viele Hörgeräteläden wie Apotheken. Willkommen im Seniorenheim Deutschland. Leider bieten die Geschäfte nur diskrete Ministöpsel an, so klein, dass sie in den Waschbeckenabfluss gleiten, so empfindlich, dass sie dort mehr Schaden nehmen als Ohr- oder Eheringe. Nicht mit mir. Ein Hörgerät kommt erst an die Lauscher, wenn es im Format eines halben Fußballs angeboten wird. Sieht jugendlich aus, ist nicht gleich als Prothese zu identifizieren und obendrein leicht wiederzufinden, gerade für Menschen, die noch keine Brille brauchen.