Die Babyboomer erreichen das Rentenalter und hinterlassen große Lücken im Arbeitsmarkt. Viele wollen sogar früher in den Ruhestand gehen. Wie gehen die Unternehmen damit um?
Auf den deutschen Arbeitsmarkt rollt eine Rentenwelle zu. Die Babyboomer gehen demnächst in den Ruhestand – und den Unternehmen rennt die Zeit davon. Bis Mitte des kommenden Jahrzehnts werden rund vier Millionen Erwerbstätige der starken Geburtsjahrgänge 1954 bis 1968 in Rente gehen.
Allein der Berliner Wirtschaft werden nach Berechnungen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin in rund zehn Jahren über 400.000 Fachkräfte fehlen. Schon heute gebe es einen Mangel von 90.000 qualifizierten Beschäftigten, heißt es.
Hinzu kommt, dass viele Ältere sogar vorzeitig in Rente gehen wollen. Demnach möchte sich laut einer Umfrage des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) fast jede und jeder dritte Erwerbstätige ab 50 Jahren (31,3 Prozent) früher aus dem Job verabschieden.
Das bestätigen auch Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (DRV): Von den rund 953.000 Menschen, die 2023 erstmalig eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielten, hätten mehr als die Hälfte (555.000) das reguläre Rentenalter noch nicht erreicht.
Adieu Fachwissen?
Die Folgen können – gerade für kleine Unternehmen – dramatisch sein. Denn mit den erfahrenen Fachkräften verlieren Unternehmen auch für sie wertvolles Wissen. Und während immer mehr Adieu sagen, rücken nicht genügend jüngere Beschäftigte nach. Nach IHK-Angaben dauert die Suche nach einer Nachbesetzung in der Bundeshauptstadt im Schnitt über sechs Monate. Für eine ordentliche Übergabe bleibe oft nur wenig Zeit, oder Mitarbeiter gehen in den Ruhestand, ohne dass für eine Nachfolge gesorgt wurde.
Die Bindung von älteren Beschäftigten liegt also im Interesse der Unternehmen. Manche Unternehmen haben das Problem erkannt und spezielle Programme zum (Wissens-)Erhalt ihrer älteren Beschäftigten eingeführt, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter ausgewählten großen Unternehmen zeigt.
“Es ist höchste Zeit, die Rente neu zu denken”, sagt etwa Continental-Personalvorständin, Ariane Reinhart. “Genau wie bei der Arbeitszeitgestaltung brauchen Unternehmen auch hier den notwendigen Gestaltungsspielraum.” Um Mitarbeiter kurz vor oder im Ruhestand zu halten, habe Continental ein spezielles Programm aufgelegt, in dem ältere Fachkräfte einen Kompetenzpool bilden, auf den das Unternehmen bei Engpässen oder Projekten zugreifen könne, teilte eine Sprecherin mit.
Auch Lufthansa setzt auf die Wieder- und Weiterbeschäftigung von erfahrenen Fach- und Führungskräften, wie ein Sprecher schreibt. Ziel sei es, dem Fachkräftemangel durch erfahrene Expertinnen und Experten zu begegnen und so den Wissenstransfer zwischen den Generationen zu sichern. Ähnliches teilt auch Mercedes-Benz auf Anfrage mit. So könnten etwa altersbedingt ausgetretene Experten ihr Wissen zeitlich befristet in Projekteinsätzen einbringen.
Erfolgsmodell flexible Arbeitszeiten?
Während Unternehmen verstärkt auf den generationsübergreifenden Wissensaustausch setzen, würden ältere Menschen aber nach Arbeitsmodellen suchen, die ihren persönlichen Interessen entsprächen, sagt Wirtschaftswissenschaftler und Vizepräsident des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei. “Die Herausforderung besteht darin, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie sowohl den Bedürfnissen der älteren Mitarbeitenden als auch den strategischen Zielen des Unternehmens entsprechen.”
Laut der TK-Umfrage könnten etwa flexible Arbeitszeitmodelle (73,7 Prozent) und mehr Gehalt (66,5 Prozent) ältere Erwerbstätige von einem vorzeitigen Renteneintritt abhalten. So ist es keine Überraschung, dass Großunternehmen wie etwa die Deutsche Bank, Commerzbank oder die Allianz nach eigenen Angaben die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten lockern oder hybrides Arbeiten ermöglichen.
“Das ist allerdings nicht in allen Jobs, insbesondere in der Schichtarbeit, leicht umsetzbar”, meint Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). So bieten von mehr als 300 bundesweit befragten Arbeitgebern im Auftrag der TK-Studie nur etwas mehr als die Hälfte (57 Prozent) flexiblere Arbeitszeiten an.
Ähnlich verhält es sich mit der Möglichkeit, den Übergang in den Ruhestand individuell zu gestalten, was nach Angaben des Versicherers nicht einmal die Hälfte der Arbeitgeber umsetzt (48,8 Prozent). Für Unternehmen sei es wichtiger, den Produktionsablauf zu gewährleisten, als viele Ältere in der Beschäftigung zu halten, erklärt Rentenexperte Geyer.