Gedenken an Völkermord: „Wir appellieren an Deutschland, keine Jesiden zurückzuschicken“
Beim Gedenken an den Genozid in der Frankfurter Paulskirche verspricht der irakische Außenminister den Wiederaufbau der jesidischen Dörfer und Städte.
Der Irak und die kurdische Autonomieregierung Nordiraks haben den Jesidinnen und Jesiden einen Wiederaufbau ihrer Dörfer und Städte in der Sindschar-Region im Nordwesten des Irak zugesagt. Bei einer Gedenkveranstaltung in der Frankfurter Paulskirche zum zehnten Jahrestag des Genozids an den Mitgliedern der Religionsgemeinschaft stellte der irakische Außenminister Fuad Hussein am Samstag fest, es gehe um „sichere Unterkünfte, humanitäre Hilfe und anständige Lebensbedingungen“ für die Betroffenen. Bisher allerdings ist der Aufbau nicht vorangekommen.
Mehrere hundert Gäste waren in die Paulskirche gekommen, die meisten davon Mitglieder der jesidischen Gemeinschaft, die sich selbst als „Êzîden“ bezeichnen. Viele Frauen trugen traditionelle Trachten. Aus Respekt vor den Opfern des Genozids wurde auf Beifall verzichtet.
Hussein dankte ebenso wie der Innenminister der kurdischen Autonomieregion, Rebar Ahmed Khalil, der Bundesrepublik – und bat sie um Unterstützung beim Wiederaufbau. Der Deutsche Bundestag hatte die Gräueltaten von 2014 im Jahr 2023 als Genozid an den Jesiden anerkannt. Im gleichen Jahr fiel vor einem deutschen Gericht das weltweit erste Urteil gegen einen Täter des „Islamischen Staates“ (IS) im Zusammenhang mit dem Völkermord.
Am 3. August 2014 hatten Kämpfer der Terrororganisation die Stadt Sindschar überfallen, in der seit Jahrhunderten die religiöse Minderheit zu Hause ist. Die IS-Krieger töteten Tausende von Jesiden, vor allem Männer, verschleppten und versklavten Tausende von jesidischen Frauen. Bis heute werden mehr als 2500 von ihnen vermisst.
Etliche Jesidinnen und Jesiden sind nach Deutschland geflohen. Hier befindet sich heute die weltweit größte Diaspora mit rund 230 000 Menschen. „Viele Jesidinnen und Jesiden wollen nach zehn Jahren zurückkehren“, sagte Frank Schwabe (SPD), der Bundesbeauftragte für Religionsfreiheit. Er sei zuversichtlich, dass man das ermöglichen könne. Die Bundesregierung stehe dazu „im fruchtbaren Austausch mit der irakischen Regierung und der kurdischen Autonomieregierung“.
Eine wichtige Voraussetzung sei es, dass „die Frauen vorbehaltlos nach Hause zurückkehren können“, fügte Schwabe hinzu. Er spielte damit auf die Sorge an, dass Frauen von streng religiösen Jesiden-Familien verstoßen werden können, wenn sie Opfer von Vergewaltigung geworden sind.
Der hessische SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich seit Jahren für die jesidische Minderheit einsetzt, hieb in die gleiche Kerbe. Der Sieg gegen den IS sei „erst dann erreicht, wenn die Männer, Frauen und Kinder zurück sind in ihrer Heimat“, sagte Schäfer-Gümbel, der mittlerweile als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) amtiert. Dafür müssten die Regierung in Bagdad, die Kurdenregierung im Nordirak und die jesidische Gemeinschaft zusammenarbeiten. Voraussetzung sei auch „die Aufnahme der vielen versklavten Frauen und Mädchen in ihre Gemeinschaft“, appellierte er.
Bisher fehlen nicht nur Unterkünfte in der Sindschar-Region. Sie gilt auch als unsicher. Der „Islamische Staat“ sei zwar militärisch besiegt, aber seine Ideologie sei weiter verbreitet, berichteten mehrere Redner in der Paulskirche, etwa der Beauftragte der kurdischen Diaspora, Shifa Barzani.
Vor diesem Hintergrund sagte der nordirakische Minister Khalil: „Wir appellieren an Deutschland, keine Jesiden zurückzuschicken“. Deutsche Behörden haben in einigen Fällen Jesidinnen und Jesiden nach Irak abgeschoben. Menschenrechtsorganisationen verlangen einen Abschiebestopp.
Der Zentralrat der Êzîden zeichnete den Menschenrechtsausschuss des Bundestags mit seinem Ehrenpreis aus. Der hatte den Bundestagsbeschluss zur Anerkennung als „Genozid“ vorbereitet .Für den Ausschuss erhielten Derya Türk-Nachbaur (SPD), Michael Brand (CDU), Peter Heidt (FDP) und Max Lucks (Grüne) die Ehrung.
CDU-Politiker Brand machte sich für eine internationale Konferenz über die Zukunft der Jesiden-Region stark, „die hoffentlich bald kommt“. Hier sei eine Initiative von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gefragt.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Êzîden, Irfan Ortac, forderte einen Gedenkort für den Genozid auch in Deutschland. Der FDP-Abgeordnete Heidt zeigte sich zuversichtlich: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir einen solchen Ort finden“, rief er Ortac zu.