Große Studie zeigt: mehr Alzheimer-Fälle bei jüngeren Menschen
Die Häufigkeit von Alzheimer bei unter 65-Jährigen hat sich fast verdoppelt. Allein mit besserer Diagnostik lässt sich das nicht erklären.
Frankfurt – Allein in Deutschland leben mehr als 100.000 Menschen, die jünger als 65 Jahre sind und bereits an Alzheimer leiden. Diese Zahl nannte die Deutsche Alzheimer Gesellschaft im Sommer 2022, als sie erstmals eine genauere Schätzung zu den in jungem Alter Erkrankten vorlegte. Die Fachleute sprachen damals davon, dass davon wesentlich mehr Menschen betroffen sein dürften als bisher angenommen.
Im Allgemeinen geht man davon aus, dass etwa zehn Prozent der Demenzerkrankungen – von denen Alzheimer die häufigste Form ist – schon bei unter 65-Jährigen auftreten. Doch belastbare Daten sind rar, nicht nur in Deutschland. Wie häufig werden sie nun aus Skandinavien geliefert. Eine große Studie der Universität Ostfinnland, der Universität Oulu und des Neurocenters Finnland bestätigt die Vermutung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, dass die Zahlen höher als früher angenommen sind; wobei der Fokus dieser Untersuchung nicht nur auf Alzheimer, sondern auf allen Formen von Demenz liegt. Die Arbeit wurde in Neurology, dem Fachmagazin der American Academy of Neurology veröffentlicht.
Studie zu Alzheimer bei jüngeren Menschen: Daten sind „sehr robust“
Die Forschenden hatten 12.490 Patientenakten der Universitätskliniken Kuopio und Oulu aus den Jahren 2010 bis 2021 analysiert und jene herausgefiltert, bei denen Frauen und Männer im arbeitsfähigen Alter eine Demenz-Diagnose erhielten. Die beiden Krankenhäuser diagnostizieren praktisch alle Fälle früh einsetzender Demenz in ihren jeweiligen Provinzen, das mache die Daten „sehr robust“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Ostfinnland. Erhoben wurde für die Studie sowohl die Inzidenz (Zahl der Neuerkrankungen), als auch die Prävalenz (Gesamtzahl der Betroffenen).
Das Ergebnis: Die Rate der Neuerkrankungen war höher als es bisher in internationalen Studien berichtet wurde. Demnach betrug die Inzidenz früh einsetzender Demenz in der Altersgruppe der 30- bis 64-Jährigen 20,5 Fälle pro 100.000 Personenjahre. In der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen waren es 33,7 Fälle pro 100.000 Personenjahre. (Personenjahre ist ein Begriff aus der Epidemiologie und bezeichnet die Summe der Jahre, die alle an einer Studie teilnehmenden Personen unter Beobachtung standen.) Insgesamt erkrankten in der Gruppe der 30- bis 64-Jährigen 110 Menschen an frühzeitiger Demenz und in der von 45 bis 64 Jahren 190 Menschen.
Bessere Diagnostik allein ist keine Erklärung für Alzheimer bei Jüngeren
Wie zu erwarten war Alzheimer dabei mit 48 Prozent am stärksten vertreten, es folgten mit 23 Prozent frontotemporale Demenzerkrankungen (hierbei sterben Nervenzellen vor allem im Stirn- und Schläfenbereich ab) und Lewy-Körperchen-Demenz mit sechs Prozent. Um auf Nummer sicher zu gehen, überprüften die Forschenden alle Diagnosen im Nachhinein noch einmal und berücksichtigen dabei auch spätere Arztbesuche von Patientinnen und Patienten – unter anderem, um festzustellen, ob Diagnosen falsch waren und/oder sich im Laufe der Zeit geändert hatten.
Eino Solje von der Universität Ostfinnland, leitender Wissenschaftler der Studie, vermutet, dass die beobachteten höheren Inzidenzraten damit zu tun haben, dass die Analyse auf nahezu allen Fällen aus den untersuchten Gebieten beruhte. „Darüber hinaus kann auch das gestiegene Bewusstsein für Demenz in der Öffentlichkeit und bei medizinischem Personal in Finnland zur hohen Zahl diagnostizierter Fälle beitragen“, sagt der Epidemiologe. Diese Erklärung hatte auch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft bei der Veröffentlichung der Zahlen im Sommer 2022 als den wahrscheinlichsten Grund für den beobachteten Anstieg der Alzheimer-Erkrankungen bei Jüngeren angesehen.
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Zahl der Alzheimer-Fälle hat sich „fast verdoppelt“
Allerdings scheint die bessere Diagnostik als alleinige Erklärung dann doch nicht auszureichen. Denn die hohe Zahl der früh einsetzenden Demenzerkrankungen war nicht die einzige auffällige Beobachtung: Die Forschenden stellten fest, dass keineswegs die Häufigkeit aller Formen von Demenz bei Menschen im erwerbsfähigen Alter gestiegen war – sondern lediglich die von Alzheimer. Und diese habe sich „fast verdoppelt“, wie Johanna Krüger von der Universität Oulu, Erstautorin der Studie, berichtet. „Das lässt sich nicht einfach durch bessere Diagnostik und frühere Behandlung erklären.“ Zu möglichen Gründen für die Zunahme ausgerechnet von Alzheimer bei jüngeren Menschen äußerten sich die Forschenden allerdings nicht. (pam)