Klimaklage: „Ich will, dass wir Systemsprenger werden“

Startseite Politik Klimaklage: „Ich will, dass wir Systemsprenger werden“ Stand: 04.08.2024, 13:24 Uhr Von: David Zauner Kommentare Drucken Teilen Demo gegen die Novelle des Klimaschutzgesetzes. © IMAGO/IPON Die Klimaklägerinnen Kerstin Lopau und Susanne Jung über das Klimaschutzgesetz und die Macht der Gerichte Frau Jung, Sie sind Teil einer Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung. Wie argumentieren Sie, dass
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Demo gegen die Novelle des Klimaschutzgesetzes.
Demo gegen die Novelle des Klimaschutzgesetzes. © IMAGO/IPON

Die Klimaklägerinnen Kerstin Lopau und Susanne Jung über das Klimaschutzgesetz und die Macht der Gerichte

Frau Jung, Sie sind Teil einer Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung. Wie argumentieren Sie, dass die deutsche Klimapolitik grundgesetzwidrig ist?

Unsere Klage umfasst drei Kernpunkte. Erstens gibt es weiterhin unzureichende Zielvorgaben. Also die Zielsetzungen reichen nicht aus, um die Festlegungen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten und die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Zweitens wurde bereits mehrmals nachgewiesen, dass die Maßnahmen der Bundesregierung noch nicht einmal ausreichen, um die eigenen, ungenügenden Zielvorgaben zu erfüllen. Und drittens führt die Reform des Klimaschutzgesetzes nun zu einer weiteren Verwässerung der schon zuvor ungenügenden Maßnahmen der Bundesregierung.

Frau Lopau, im März verkündete das Umweltbundesamt, Deutschland werde die Klimaziele einhalten. Doch der Expertenrat kam in seinem Prüfgutachten zu einem anderen Ergebnis. Wie kann das sein?

Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat vorgerechnet, dass Deutschland nicht auf Kurs zu den eigenen Klimazielen ist. Damit kommt er zu einem anderen Ergebnis als Klimaminister Habeck, der auf Grundlage einer Analyse des Umweltbundesamtes verkündet hat, Deutschland wird das 2030er Ziel übererfüllen. In seinem Bericht hat der Expertenrat ausführlich dargelegt, warum er die Einschätzungen des Umweltbundesamtes für zu optimistisch hält. Die Expert:innen sehen unter anderem bei den Berechnungen des Umweltbundesamtes methodische Mängel. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Es geht um unsere Lebensgrundlagen. Da sollte man lieber konservativ als optimistisch rechnen. Zumal der Expertenrat aus unabhängigen, sehr renommierten Wissenschaftler:innen besteht. Damit will ich das Umweltbundesamt nicht schlechtreden, es macht wichtige und gute Arbeit. Aber es ist immer noch eine Bundesbehörde, die vielleicht nicht ganz so viel Spielraum hat wie ein unabhängiges Gremium.

Frau Jung, die Ampel argumentiert, dass der Bereich, in dem die Emissionen gesenkt werden, für das Klima nicht wichtig sei. Was ist falsch an der Abschaffung der sektoralen Reduktionsziele?

Die Ausgangslage ist, dass Deutschland weit mehr Treibhausgase ausstößt, als mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar wäre. Die Schlussfolgerung daraus muss sein, dass jeder Bereich – egal, ob Verkehr, Gebäude oder Energieerzeugung – im Sprint vorankommen muss. Es ist vollkommen illusorisch, dass zwischen den Sektoren hin- und hergetauscht werden könnte. Das wäre vielleicht vor 20 Jahren möglich gewesen. Heute haben wir dafür wirklich keine Zeit mehr. Es braucht einen Turbo in allen Sektoren.

Susanne Jung ist Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutschland . 2018 leistete der Verein Pionierarbeit bei der ersten Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz, nun verklagt er zusammen mit dem BUND und vier Einzelkläger:innen, unter anderem Kerstin Lopau, die Bundesregierung erneut. Außerdem führen die Deutschen Umwelthilfe sowie auch Greenpeace und Germanwatch jeweils eine Beschwerde.
Susanne Jung ist Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutschland . 2018 leistete der Verein Pionierarbeit bei der ersten Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz, nun verklagt er zusammen mit dem BUND und vier Einzelkläger:innen, unter anderem Kerstin Lopau, die Bundesregierung erneut. Außerdem führen die Deutschen Umwelthilfe sowie auch Greenpeace und Germanwatch jeweils eine Beschwerde. © SFV

Frau Lopau, über den Urteilsspruch 2021, in dem der Bundesregierung ein teilweise verfassungswidriges Klimaschutzgesetz attestiert wurde, schien sich die Regierung geradezu zu freuen. Und trotzdem ist zu wenig passiert. Warum setzen Sie weiterhin auf den juristischen Weg?

Ich arbeite jeden Tag mit vielen motivierten Menschen an der Energiewende und engagiere mich in der Klimabildung. Aber wir stoßen immer wieder an Grenzen. An sehr vielen Stellen fehlt einfach der politische Rahmen. Lokales Engagement reicht eben nicht mehr. Mit unserem Verein, den wir gegründet haben, können wir zwar vor Ort im Großraum Kassel etwas bewegen, aber nicht an den großen Stellschrauben drehen.

Die Schweiz wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, ignoriert aber das Urteil. Was nützen Urteile, an die sich am Ende niemand hält?

Lopau: Der juristische Weg allein kann sicher nicht alles richten. Aber es ist eine Möglichkeit, mit der man die öffentliche Meinung auch mitbeeinflussen kann. Und wenn es dann eine dritte Klage braucht, dann wird es auch die geben.

Jung: Das scharfe Schwert der Justitia ist gegenüber einer Regierung, die ignoriert, und einer Bevölkerung, die verdrängt, nicht das Allheilmittel. Dennoch erhöht so ein Urteil den Druck auf die politischen Vertreter und beeinflusst die politische Diskussion. Ich bin viel auf Demonstrationen, habe mich jahrelang in der Klimabewegung gegen den rheinischen Braunkohleabbau engagiert. Es kommt auf jeden Fall auch auf die Zivilgesellschaft an, auf das, was auf der Straße passiert, und die Kraft der Bewegung.

Kerstin Lopau ist Ingenieurin für erneuerbare Energien und Mitbegründerin des Klima- und Solarkollektivs Solocal Energy, das sich im Großraum Kassel für eine sozial gerechte Energiewende einsetzt. dz
Kerstin Lopau ist Ingenieurin für erneuerbare Energien und Mitbegründerin des Klima- und Solarkollektivs Solocal Energy, das sich im Großraum Kassel für eine sozial gerechte Energiewende einsetzt. dz © BUND

Wenn man die Klimakrise als Krise der sozialen Verhältnisse, als Krise des Wirtschaftssystems versteht, inwiefern haben Gerichte die Fähigkeit, das System zu verändern?

Lopau: Ich glaube nicht, dass dieses Urteil den Kapitalismus stürzen wird. Auch wenn es ja durchaus sehr renommierte Klimawissenschaftler:innen gibt, die ganz trocken und fundiert zu dem Ergebnis kommen: Ohne das Wirtschaftswachstum infrage zu stellen, wird das mit dem Klimaschutz nichts. Ich glaube aber, dass das alles kleine Schritte in die richtige Richtung sind. Wir versuchen, mit unseren Energiewende-Projekten Alternativen aufzubauen. Wir arbeiten ohne Chef:innen, haben solidarische Preise und versuchen bedürfnisorientiert zu wirtschaften. Gleichzeitig muss neben dem Aufbau von Alternativen auch das gegenwärtige System zurückgefahren werden. Dabei kann eine Klage helfen. Ob es dann die Revolution wird oder die schrittweise Durchsetzung progressiver Reformen, wer weiß?

Jung: Ich hoffe, dass wir Systemsprenger werden. Als Erstes müssen wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren die Macht der fossilen Konzerne sprengen. Die regionale Struktur der Erneuerbaren ist eine große Chance. Damit können in der Theorie alle Menschen an der Energieerzeugung teilhaben und dadurch können große soziale Veränderungen ausgelöst werden. Welche Rolle in der gesamten Transformation dann ein oder zwei Urteile spielen, kann man sicherlich erst im Nachhinein wirklich beurteilen.

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