Berlin. Die Online-Plattform krisenchat.de bietet mentale Unterstützung für junge Menschen bis 25 – kostenlos, anonym und rund um die Uhr.
Seit der Corona-Pandemie mit den Schulschließungen und Lockdowns ist die Zahl psychischer Störungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen stark gestiegen. Doch es gibt viel zu wenig Beratungsangebote, die sich speziell an junge Menschen richten. Die Online-Beratung kisenchat.de erreicht junge Menschen über die Kanäle, auf denen sie kommunizieren: per Chat-Nachricht auf dem Handy, über Tiktok und Youtube-Videos. Gegründet im Mai 2020 ist krisenchat.de inzwischen das meistgenutzte psychosoziale Online-Beratungsangebot für Menschen unter 25 Jahren in Deutschland.
Ein Interview mit der Mit-Gründerin und Co-CEO von krisenchat.de, Melanie Eckert:
Frau Eckert, wie sind Sie auf die Idee zu der Chat-Beratung gekommen?
Es gab einen Vorläufer von krisenchat.de, gegründet von drei 18-Jährigen nur für Schulen, um Mobbing-Opfern zu helfen. Als Corona kam, war schnell klar, dass der Bedarf an mentalen Unterstützungsangeboten enorm steigen würde. Da haben sich die Gründer entschieden, das Angebot für alle jungen Menschen zu öffnen und ich bin mit eingestiegen. Als Psychotherapeutin i. A. habe ich den Bedarf speziell für Kinder und Jugendliche schon aus meiner Arbeit an Kliniken gesehen und habe mich schon immer gefragt, warum nutzen wir die digitalen Möglichkeiten so wenig?
Wie die Beratung per Chat fuktioniert
Ist denn so eine Beratung ohne dass man dem anderen gegenüber sitzt überhaupt möglich?
Es ist fast der einzige Weg, junge Menschen überhaupt zu erreichen, denn die sind über viele Stunden am Tag nur noch mit ihren Handys beschäftigt. Ich kenne aus meiner Tätigkeit so viele psychotherapeutische Programme und Ansätze, die inhaltlich ganz toll sind, aber eben viel zu weit weg von der Lebensrealität. Kinder und Jugendliche bewegen sich in einer digitalen Lebenswelt, deshalb ist der digitale Ansatz so wichtig, um dort professionelle Angebote zu machen.
Wie läuft eine solche Beratung ab?
Die meisten Anfragen erreichen uns per Chat über Whatsapp oder andere Messengerdienste, anonym und kostenlos. Auf der Webseite von krisenchat.de gibt es einen Button, dort klickt man auf Beratung starten, das läuft alles über das Handy. Dann öffnet sich das Chat-Fenster, erst einmal mit der Zustimmung zum Datenschutz und dann antwortet im Idealfall innerhalb weniger Minuten eine psychosoziale Fachkraft, ein Pädagoge, Sozialarbeiter oder ein Psychologe. Er versucht im Chat erst einmal Vertrauen aufzubauen und herauszufinden, was das Problem ist.
Was sind die Gründe, warum sich Kinder und Jugendliche an Krisenchat wenden?
Von Liebeskummer bis akuter Suizidgefahr ist alles dabei. Und das ist erst einmal toll, dass sie sich trauen, nach Hilfe fragen. Dann wird gemeinsam im Chat geschaut, worum es eigentlich geht. Manchmal ist es wirklich nur Liebeskummer, aber es gibt auch Situationen akuter Gefahr, wo die Kinder und Jugendlichen so verzweifelt sind, dass sie sich das Leben nehmen wollen.
Wie kann krisenchat.de da helfen?
Wir haben Leitfäden mit Experten entwickelt, wie wir die Situation deeskalieren und dann auch weitere Maßnahmen besprechen. Zum Beispiel die Möglichkeiten einer Therapie oder Beratung, da wird dann Schritt für Schritt besprochen, an wen sich die Betroffenen wenden können, wie so etwas abläuft.
Wie lange dauert eine solche Beratung?
Der Chat ist auf etwa eine Stunde begrenzt. Es geht nicht um endloses „Quatschen“, sondern um professionelle Beratung mit einem Ziel: die bestmögliche Hilfe für den Betroffenen zu finden. Dafür nutzen wir das digitale Medium und sind dadurch 24 Stunden zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar.
Die Beratung für Jugendliche ist kostenlos und anonym
Wo liegen die Grenzen der Beratung im Chat?
Wir bieten professionelle Beratung, sind aber kein Ersatz für eine Psychotherapie oder Langzeitberatung, das besprechen wird auch mit den Kindern und Jugendlichen. Wir wollen sie befähigen, in reale Kontakte zu treten, sich an den Schultherapeuten zu wenden oder in schweren Fällen auch zum Jugendamt zu gehen. Manchmal reicht aber auch eine digitale Beratung, wenn einfach jemand mal zuhört.
Und wie gehen Sie mit den schweren Fällen um?
Wir schlagen die Brücke aus der digitalen in die reale Gesundheitsversorgung. Dazu klären wir erst einmal auf, was es überhaupt gibt und wie solche Beratungen ablaufen. Wir besprechen ganz konkret, wie und an wen sie sich wenden können. Und je besser wir solche Hürden abbauen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich diese Hilfe holen.
Krisenchat wird mit Spenden finanziert
Wie viele Berater arbeiten bei Krisenchat?
Wir sind als ehrenamtliche Initiative gestartet, mit neun Ehrenamtlichen, inzwischen haben wir 400 aktive ehrenamtliche und 70 festangestellte Beraterinnen und Berater, die alle einen professionellen Hintergrund haben. Wir bieten auch Weiterbildung und Supervision an. Die Ehrenamtlichen werden ergänzt durch ein Team aus 140 Festangestellten, die zum Beispiel auch die schweren Fälle übernehmen, wenn es um Kindeswohlgefährdung oder Suizidgefahr geht. Sie gewähren auch, dass die Nachtschichten besetzt sind und die Ehrenamtlichen sich jederzeit telefonisch Unterstützung holen und rückversichern können. Das ist ja das Gute beim Medium Chat, dass auf den Fall mehre Fachberater gleichzeitig draufschauen können.
Wir wird Krisenchat finanziert?
Wir sind eine gemeinnützige GmbH und finanzieren uns ausschließlich durch Spenden von Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen. Der größte Teil des Budgets fließt in die Personalkosten für die Beratung. In diesem Jahr konnten wir auch eine Förderung durch das Familienministerium auf den Weg bringen und haben auch Kooperationen mit Krankenkassen.
Ist die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen nicht eine staatliche Aufgabe?
Absolut, deswegen machen wir auch politische Lobbyarbeit, um diese Art der niedrigschwelligen Beratung in das Gesundheitssystem zu integrieren und die viel größeren Folgekosten psychischer Erkrankungen zu vermindern. Der Bedarf ist riesig. Wir machen keine Werbung, aber allein im letzten Jahr hatten 37.000 Anfragen. Langfristig zahlt sich jede Beratung aus, die frühzeitig stattfindet und verhindert, dass Kinder und Jugendliche ernsthafte psychische Störungen entwickeln. Psychische Belastungen sind mit der Hauptgrund für Arbeitsausfälle.