Kurios: Bauherren zeigen einander an, weil Terrassen zu groß sind – Bebauungsplan-Chaos
In einem Neubaugebiet in Mittelhessen haben mehr als 15 Bauherren gegen den Bebauungsplan verstoßen. Doch bei dessen Durchsetzung herrscht Chaos.
Friedberg – Warum gibt es Ortssatzungen? Diese Frage beantwortet Tobias Brandt, Amtsleiter für Stadtentwicklung, Liegenschaften und Rechtswesen in Friedberg, in einer Pressemitteilung. Leider komme es immer wieder vor, »dass Eigentümer – vermutlich aus Unwissenheit – gegen städtische Satzungen verstoßen. Allerdings kann dies massive Folgen haben«, wie aktuell im Neubaugebiet »Steinern Kreuzweg«. Laut Brandt haben über 15 Bauherren gegen den Bebauungsplan verstoßen.
Die Bauaufsicht beim Wetteraukreis hat dies nach Anzeigen und Überprüfungen festgestellt. Brandt: »Hierbei geht es meist um die Überschreitung der überbaubaren Fläche durch Terrassen, z. T. um bis zu fünf Meter.« Die Anwohner fordern, die Stadt solle den B-Plan nachträglich zu ihren Gunsten ändern. Das, führt Brandt aus, sei aus Gründen der Gleichbehandlung nicht möglich.
Bauplan-Verstöße in Friedberg: Mann wird angezeigt – daraufhin zeigt auch er die Nachbarn an
Über die Hintergründe des Streits zwischen Bauherren und Ämtern schweigt sich die Stadtverwaltung vornehm aus; sie ist nicht der Treiber des Verfahrens, das ist das Kreisbauamt. Dieser Zeitung liegt ein Brief von 33 Anwohnern aus dem Mai dieses Jahres vor. Offenbar hatte ein Grundstückseigentümer den Nachbarn angezeigt, der nicht alleine zum Rückbau gezwungen werden wollte und seinerseits Nachbarn anzeigte. Im Brief werden »umfangreiche Kontrollen« durch die Bauaufsicht des Wetteraukreises erwähnt.
Die Anwohner machen geltend, sie seien »entweder schlecht oder gar nicht beraten« worden, die Architekten seien damals (die ersten Kaufverträge im neuen Abschnitt des Baugebiets wurden im April 2020 unterzeichnet) »im Goldrausch von Auftrag zu Auftrag geeilt«. Aber auch von den Genehmigungsbehörden fühlen sich die Anwohner im Stich gelassen. Aktuell, heißt es in dem Schreiben vom Mai, liefen parallel Rückbauverfügungen, Anhörungen und Widerspruchsverfahren, teils seien Rückbauten bereits erfolgt.
Stadt will Bebauungsplan nachträglich nicht ändern
Die Stadt lehnt eine nachträgliche Änderung des Bebauungsplan ab. Würde die Stadt darauf eingehen, würde sie nicht nur gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Die Änderungen von Baugrenzen, Festsetzungen zur Vorgarten- und Dachbegrünung oder zur Höhe von Zäunen würde auch Personal binden und die Stadt einen fünfstelligen Betrag kosten.
Brandt erläutert die Sinnhaftigkeit von B-Plänen: »Ein Bebauungsplan ist ein städtischer Plan, der die Bebauungsmöglichkeiten und/oder Nutzungen in bestimmten Bereichen einer Stadt regelt. Er besteht aus einer Planzeichnung, textlichen Festsetzungen, einer Begründung und verschiedenen (Fach-)Gutachten.« Das könnten Vorgaben zu baulichen Ausnutzungsmöglichkeiten auf den Baugrundstücken sein, aber auch die Höhe von Gebäuden oder Nebenanlagen.
Oft werde von Bauherren in der Bauberatung die Aussage in den Raum gestellt, dass es sich um ihr Eigentum handele und es fehle an Verständnis für oftmals als hart empfundene getroffene Regelungen. Brandt: »Diese Regeln sind aber wichtig, damit eine qualität- und maßvolle Bebauung von Flächen stattfindet, wir mit der immer knapper werdenden Ressource Boden schonend umgehen und ein gutes und schönes Leben in Friedberg ermöglichen.«
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Geringfügige Fälle wurden nachträglich genehmigt
Nach Informationen dieser Zeitung sind aktuell 17 Fälle im jüngsten Abschnitt des Baugebiets am Steinernen Kreuz mit Überschreitungen von Baugrenzen anhängig. Dazu zählen auch Aufschüttungen am südlichen Rand des Gebiets, die offenbar teils über die Grundstücksgrenzen hinausreichen. Die Stadt besteht darauf, diese Aufschüttungen zu entfernen, da die Pflege der Böschung Aufgabe der Stadt ist und in der aktuellen Form nicht zu leisten sei.
Nicht alle Hauseigentümer im Baugebiet haben den Fehler begangen, den B-Plan nicht genau zu beachten. Ein Bauherrenpaar hat sich vor der Planung umfassend informiert, bei zwei Bauvorhaben informierten sich die Architekten vor der Bauantragsstellung beim Bauamt. Diese drei Grundstücke sind offenbar ohne Beanstandungen. Die Stadt verweist zudem auf die Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts von 1994, wonach Terrassen und deren Überdachungen zu den Hauptanlagen eines Bauprojektes zählen und nur innerhalb der Baugrenzen zulässig sind.
Geringfügige Überschreitungen könnten aber zugelassen werden, was im Baugebiet »Am Steinern Kreuzweg« auch der Fall war: Terrassen, die nicht mehr als 1,5 Meter über die Baugrenze ragen und nicht mehr als ein Drittel der Außenwand in Anspruch nehmen, wurden vom Kreisbaumt nachträglich genehmigt.
Appell: Unbedingt vor dem Bauen über Satzung informieren
Bürgermeister Kjetil Dahlhaus (parteilos) und Stadtbauamtsleiter Tobias Brandt appellieren an die Bürger, sich über örtliche Satzungen zu informieren. »Insbesondere wenn bauliche Maßnahmen geplant werden, sollte im Vorfeld über mögliche Restriktionen in städtischen Satzungen recherchiert werden«, schreibt Brandt in einer Pressemitteilung. Satzungen seien quasi »städtische Gesetze« und rechtlich bindend. Bekannt sind die Vorgarten- und die Stellplatzsatzung, es gibt auch Satzungen über Steuersätze sowie die Bebauungspläne. »Je nach Themenbereich gibt es Ansprechpartner in der Stadtverwaltung, die gerne zur Beratung zur Verfügung stehen«, sagt Bürgermeister Dahlhaus. Die im B-Plan getroffenen Regelungen müssten eingehalten werden.
Brandt: »Jeder möchte seine Immobilie nach individuellen Vorstellungen ausgestalten, dafür haben wir vollstes Verständnis. Jedoch sind dies spezielle Bedürfnisse, welche nicht immer gleich sind.« Beim Baurecht gilt das Gleichbehandlungsgebot. »Was nun im konkreten Einzelfall zu beachten ist, kann und sollte im Vorfeld im städtischen Bauamt oder bei der Bauaufsichtsbehörde des Wetteraukreises kostenfrei angefragt werden«, sagt Dahlhaus. Bei größeren Bauvorhaben wie einem Hausbau übernehme dies meist der Architekt. Aber auch bei kleineren baulichen Veränderungen wie einem Terrassenbau, bei Veränderungen oder dem Hausumbau lohne es sich, vorab Informationen einzuholen. »Damit können Unannehmlichkeiten wie etwa die Forderung eines Rückbaus vermieden werden.«