Berlin. Zwischen Kranoldplatz und Seydlitzstraße lag einst der Güterbahnhof Lichterfelde Ost. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
In Zeiten anhaltender Wohnungsnot ist die Suche nach potenziellen Bauflächen in Berlin zu einer der wichtigsten Aufgaben der Stadtentwicklungspolitik geworden. Besonderes Augenmerk wird seit einigen Jahren auf die Entwicklung der ehemaligen Güterbahnhöfe im gesamten Stadtgebiet gelegt. Einer der Ex-Versorgungsknoten der Stadt lag am heutigen S-Bahnhof Lichterfelde Ost. Der Güterbahnhof wurde 2002 aufgegeben, seitdem verrotten die Gleise hinter den zum Teil nachgenutzten Bahnhofsgebäuden. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
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Das sind die Fakten zum Güterbahnhof Lichterfelde Ost im Überblick:
- Adresse: Bahngelände Kranoldplatz bis Charlottenstraße, Ecke Seydlitzstraße 1, 12209 Berlin-Lichterfelde (Kranoldplatz) sowie 12247 Berlin-Lankwitz (Charlotten-/Seydlitzstraße)
- Geschichte: 1868 wurde der erste Lichterfelder Bahnhof für Fernzüge eröffnet; zwischen 1913 und 1916 wurden die Bahnsteiggleise und der Bahnhof für den Nah- und Fernverkehr hochgelegt, davor befanden sich ebenerdig die fünf Gleise des Güterbahnhofs, dessen Güterschuppen in der Nachkriegszeit auch durch das US-amerikanische Militär genutzt wurde. 2002 wurde der Betrieb des Güterbahnhofs eingestellt
- Führungen: Keine
- Denkmalschutz: Nein
- Status: Lost Place. An der Zufahrtsstraße am Kranoldplatz entstand 2007 das Einkaufszentrum „Lio“; auf der Grundstücksseite zur Seydlitzstraße hin werden die alten Bahngebäude zum Teil nachgenutzt, zum Teil stehen sie leer und die Gleise verrotten
Wo lag der Güterbahnhof Lichterfelde Ost genau?
Das Bahnhofsgelände befand sich auf der südöstlichen Seite der heutigen S-Bahnstrecke und zog sich vom Bahnhofseingang Lichterfelde Ost am Kranoldplatz entlang der Charlottenstraße bis zur Seydlitzstraße 1 im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Der westliche Teil des Bahnhofsgeländes liegt im Ortsteil Lichterfelde, der östliche in Lankwitz.
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Areal am besten vom S-Bahnhof Lichterfelde Ost (S25, S26, Bus 184, 284, M11, N84, X11) zu erreichen. Alternativ kann auch die Buslinien 184 und 284 (Haltestelle Kaiser-Wilhelm-Straße/Seydlitzstraße) genutzt werden. Entlang der Seydlitzstraße ist es von der Haltestelle ein etwa dreiminütiger Fußweg zur nordöstliche Seite des ehemaligen Güterbahnhofs an der Seydlitz-/Ecke Charlottenstraße.
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Güterbahnhofs Lichterfelde Ost:
Ausgangslage: Einer der ältesten Bahnhöfe Berlins im Südwesten
Seit mehr als 150 Jahren ist der Bahnhof Lichterfelde Ost ein Entwicklungsmotor im Berliner Süden. Der erste Lichterfelder Bahnhof wurde 1868 an der Bahnstrecke Berlin–Halle (Saale) eröffnet. Die nötigen finanziellen Mittel stellte der Hamburger Bauunternehmer Johann Anton Wilhelm von Carstenn (1822–1896) bereit, der sich von dem Fernverkehrsbahnhof Wachstum für sein Villenprojekt Lichterfelde versprach. Seine Vision: Die damals noch eigenständige Landgemeinde sollte zu einem attraktiven Wohnviertel für begüterte Berliner werden. Die Gleise der Anhalter Bahn lagen damals noch auf Geländeniveau und der Bahnhof hatte nur einen Bahnsteig – bescheidene Anfänge.
Carstenn hatte sich mit dem Standort nicht getäuscht und die Entwicklung schritt rasch voran: 1876 wurde der Bahndamm für Vorortzüge nachgerüstet. 1881 feierte die erste elektrische Straßenbahn der Welt auf der Strecke zwischen der Lichterfelder Kadettenanstalt und dem Bahnhof Lichterfelde Premiere und 1899 eröffnete ein zweiter – ausschließlich für den Fernverkehr vorgesehener – Bahnsteig. Die Strecke war prädestiniert für eine weitere Neuerung: Ab 1903 erprobte man von hier einen elektrischen Bahnbetrieb mit 550 Volt Gleichstrom und sammelte so Erfahrungen für die künftige Elektrifizierung und die Einführung der Berliner S-Bahn.
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Güterbahnhof Lichterfelde Ost: Trennung von Personen- und Güterverkehr in der Kaiserzeit
Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde der immer wichtiger werdende Bahnhof Groß-Lichterfelde Ost schließlich hochgelegt und auf drei Bahnsteige mit sechs Bahnsteiggleisen ausgebaut. Der Güterverkehr wurde auf einem separaten kleinen Güterbahnhof mit zunächst fünf Gleisen verlegt.
Die Pläne für die Erweiterung des Bahnhofs stammten von dem Berliner Eisenbahnarchitekten und Baubeamten Karl Cornelius (1868–1938), der zahlreiche Bahngebäude und Bahnhöfe Berlins in der Zeit nach der Jahrhundertwende gestaltete. Um die Vielzahl an Weichen und Signalen sicher steuern zu können, entstanden im Bereich des Bahnhofs zwei Stellwerke: Für den Vorortverkehr das heute nicht mehr existente Stellwerk „Lmt“ und für den Fern- und Güterverkehr das hochaufragende Stellwerk „Lio“ am Kranoldplatz.
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Güterbahnhof Lichterfelde Ost: So war die Anlage aufgebaut
Der Güterbahnhof reichte von der westlichen Zufahrt am Kranoldplatz auf der Höhe des heutigen Einkaufscenters „Lio“ auf einem Grundstück entlang der Gleise über eine Zufahrt an der Amalienstraße bis zu den nordöstlichen Verladerampen an der Seydlitzstraße. Die Grundstücksfront des Güterbahnhofs Lichterfelde Ost erstreckte sich über gut 650 Meter Länge.
Von den alten Ferngleisen des Bahnhofs konnten die Güterzüge auf die südlich davon gelegenen Gleise 10, 11 und 12 des Güterbahnhofs rangiert werden, wurden dort an Verladestationen von Bahnarbeitern be- und entladen und zurück auf die Strecke geschickt. Ein weiteres Gütergleis 13 fächerte sich mittig auf dem Gelände in die weiteren Gleise 14, 15 und 16 auf. Von hier aus konnten die Züge entweder zurück auf die Ferngleise rangiert werden, auf Abstellgleisen zwischenlagern oder in der Wagenreparaturwerkstatt an der Ecke Charlottenstraße zur Seydlitzstraße kleinere Ausbesserungen vorgenommen werden.
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Güterbahnhof Lichterfelde Ost: Lankwitzer Gemeindewaage vor dem Bahnhof
Dort wo heute die Charlottenstraße und die Elisabethstraße in einen spitzen Winkel aufeinandertreffen, steht ein kleines Gebäude, an dessen Fassade die Inschrift „Ratswaage“ zu lesen ist. Es handelte sich um die offizielle Waage der Gemeinde Lankwitz. 1917/1918 erbaut, konnten auf der Brückenwaage Bauern und Händler das reine Gewicht ihrer Ladung bestimmen, indem sie mit ihrem Fuhrwerk auf die fünf Meter lange Wiegebrücke fuhren.
Der Wiegeraum befand sich im Keller des Gebäudes. Dort wurde die Dezimalwaage ausgelesen – sie funktionierte im Prinzip wie die früheren Kofferwaagen in Bahnhöfen, war nur viel größer. Das Gewicht des Fuhrwerks wurde anschließend abgezogen. Seit 1927 wurde die Lankwitzer Waage ausschließlich von Frauen betrieben, sie würden exakter bei der Messung arbeiten – so lautete damals das Urteil der Gemeindeverwaltung.
Mit der Wiegebescheinigung, nach der sich der Transportpreis richtete, konnten die Händler ihre Güter am benachbarten Güterbahnhof verladen lassen. Das abgesperrte Rechteck vor dem geziegelten Haus ist die immer noch funktionstüchtige Wiegebrücke. Sie maß präzise Lasten bis zu elf Tonnen. 1968 wurde die Gemeindewaage außer Dienst gestellt. Heute dient das Haus als Frauentreffpunkt, in dem Workshops und Veranstaltungen angeboten werden.
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Güterbahnhof Lichterfelde Ost: US-Militärbaracke in der Nachkriegszeit
Der Güterbahnhof Lichterfelde Ost war viele Jahrzehnte lang ein wichtiger Umschlagplatz für die Verteilung und Anlieferung von Gütern im Kiez: Lebensmittel, Kohle und andere Versorgungsgüter wurden an der Verladestraße und den dazugehörigen Bahnhofsbarracken umgeschlagen. Die umliegenden Gewerbebetriebe und Industrien bezogen ihre Rohstoffe über den Bahnhof und sie konnten von hier aus ihre Warenproduktion und Handelsgüter absetzen. Die Gleisanlagen wurden für den schnellen innerstädtischen Güterverkehr genutzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Lichterfelde als Ortsteil von Steglitz zusammen mit den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg und Zehlendorf Teil des US-amerikanischen Sektors der geteilten Stadt. Die US-Armee errichtete ihre Stützpunkte im Südwesten Berlins: Ihr Hauptquartier schlugen sie an der späteren Clayallee in Dahlem auf, Militärdepots und Schießplätze entstanden, abgeschottete Wohnsiedlungen für das Personal und die Familien und große Kasernenanlagen für die Soldaten. Einen großen Teil der Versorgung wickelte das US-Militär über den 1947 eingerichteten Militärbahnhof Lichterfelde West ab.
Am Güterbahnhof Lichterfelde Ost begnügten sich die Amerikaner mit einem vom Militär genutzten Güterschuppen am südlichsten Gütergleis 16. Der Ziegelbau, der einst vom US-Militär in Beschlag genommen worden war, und von dem aus Transportgüter verladen werden konnten, ist heute noch schräg rechts von der Einfahrt Amalienstraße aus zu sehen.
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Güterbahnhof Lichterfelde Ost: Der Bahnhof wird zum Lost Place
Mit der Stilllegung des S-Bahnhofs 1984 und der abnehmenden Bedeutung der Industriebahnen für die Versorgung Berlins begann der schleichende Niedergang für den Güterbahnhof Lichterfelde Ost. Immer weniger Güter wurden über die Bahnanlage Kranoldplatz, Amalien- und Seydlitzstraße umgeschlagen – viele der in die Jahre gekommenen Schuppen auf dem Gelände wurden für den Bahnbetrieb nicht mehr benötigt.
Der S-Bahnhof Lichterfelde Ost wurde nach der Wiedervereinigung 1995 wiedereröffnet und auch die Fernbahn fuhr seit 2006 – nach der Eröffnung des Nord-Süd-Fernbahntunnels – den Bahnhof Lichterfelde Ost wieder an. Am Güterbahnhof jedoch wurden Anfang der 2000er-Jahre die letzten Züge abgefertigt. 2002 wurden die Gütergleise von der Deutschen Bahn stillgelegt und der Bahnhof als Güterverladestation geschlossen. Einige der Schuppen wurden weiterhin für den LKW-Transport als Depots genutzt, andere dienten Vereinen und kleineren Gewerbebetrieben als Standort, doch die Jahre des weitgehenden Leerstandes hinterließen ihre Spuren an den Bauwerken und den langsam verrottenden, von Ranken überwucherten Gleisen hinter den Bahngebäuden.
Güterbahnhof Lichterfelde Ost: So ist der Zustand heute
Mitte der 2000er-Jahre wurde der südwestliche Teil des Güterbahnhofs baulich stark verändert. Der einstige Güterverladeplatz war mit kleineren Schuppen bebaut, die als Lager und Läden dienten. 2007 begannen an der Lankwitzer Straße die Abrissarbeiten für ein neues Einkaufzentrum. Entlang des Bahndamms an der ehemaligen westlichen Zufahrt zum Güterbahnhof wurde das Shoppingzentrum „Lio“ gebaut. Nachdem der dem S-Bahnhof nächstgelegene Teil des Güterbahnhofs für das Einkaufscenter beräumt worden war, blieb nur noch der hintere Teil an der Amalien- und Charlottenstraße erhalten.
An der Einfahrt Amalienstraße wird der einst vom US-Militär genutzte Bahnschuppen heute noch von Gewerbebetrieben genutzt. Von der einstigen Wagenreparaturwerkstatt ist noch ein Ziegelbauwerk an der Ecke Charlotten- zur Seydlitzstraße erhalten, in welchem früher Kleinloks instandgesetzt wurden. Hinter den noch vorhandenen Güterschuppen an der ehemaligen Verladestraße finden sich Reste des Gleisbetts und der stillgelegten Gütergleise.