Monatlich 500 Euro zusätzliche Rente: Ist das Rentensystem in Österreich tatsächlich überlegen?
Sahra Wagenknecht plädiert dafür, dass Deutschland sich an seinem Nachbarland ausrichtet. Allerdings warnen Fachleute: Der Vergleich ist schief.
Frankfurt – Rentner und Rentnerinnen in Österreich bekommen mehr Geld als in Deutschland. Nach 45 Versicherungsjahren bekommen Menschen in Deutschland im Schnitt eine Rente von 1.604 Euro überwiesen. Rund jeder Fünfte aus der Gruppe der besonders langjährig Versicherten erreicht allerdings keine 1.200 Euro.
Wagenknecht: „Was dort geht, muss auch bei uns möglich sein“
Das zeigt eine Antwort der Bundesregierung an Sahra Wagenknecht, Chefin der nach ihr benannten Bundestagsgruppe BSW, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Bei rund 1,08 von 5,24 Millionen Altersrenten mit mindestens 45 Versicherungsjahren lag der Rentenzahlbetrag Ende vergangenen Jahres demnach unter 1.200 Euro im Monat.
Wagenknecht fordert, Deutschland möge sich ein Beispiel an Österreich nehmen. In der Alpenrepublik liege die Durchschnittsrente für langjährig Versicherte 800 Euro höher. „Was dort geht, muss auch bei uns möglich sein“, äußerte Wagenknecht. „Wir brauchen höhere Renten nach dem Vorbild Österreichs und eine Rentensteuerbremse.“ Im Vergleich zum EU-Schnitt sei das Rentenniveau in Deutschland rund zehn Prozentpunkte zu niedrig.
Rente in Österreich gibt es erst nach 15 Jahren statt nach fünf wie in Deutschland
Tatsächlich fallen beim Vergleich mit Österreich spürbar frühere und höhere Renten auf. Als Hauptgrund gilt eine Rentenreform vor rund 20 Jahren: Fast alle Erwerbstätigen zahlen im Nachbarland in die gesetzliche Rentenkasse ein, auch die Staatsbeschäftigten. Sowohl der Steuerzuschuss für die Rente als auch die Beitragssätze sind noch höher als in Deutschland, und zwar deutlich. Zudem bekommt man in Österreich erst nach 15 Jahren eine Rente statt nach fünf wie in Deutschland. Dies ist auch ein Grund für höhere Durchschnittsrenten. Der Beitragssatz ist in Österreich höher als in Deutschland. Der Arbeitgeber zahlt dabei mehr als der Arbeitnehmer, die Aufteilung ist nicht paritätisch.
Nicht so in Deutschland. „1.604 Euro Durchschnittsrente nach mindestens 45 Arbeitsjahren – dieser Wert zeigt, wie leistungsschwach die deutsche Rentenversicherung ist“, sagte Wagenknecht der dpa. „Dass jeder fünfte Rentner nach 45 Arbeitsjahren sogar weniger als 1.200 Euro Rente bekommt, ist ein politischer Skandal.“
Bundessozialministerium und Deutsche Rentenversicherung widersprechen Wagenknecht
Das Bundessozialministerium sieht das anders. Das Amt wirbt für einen differenzierten Blick auf das Thema. So seien die 1.604 Euro Rente nach 45 Versicherungsjahren ein Durchschnittswert, sagte ein Sprecher am 22. Juli 2024 in Berlin. Dort flössen auch niedrige Renten ein.
In Österreich gibt es nicht nur eine frühere Rente, sondern auch 500 Euro mehr. Außerdem wird die Rente 14 Mal ausgezahlt statt nur zwölfmal. Die Deutsche Rentenversicherung veröffentlichte anlässlich der Diskussionen um das Rentenparadies im Süden einen Faktencheck. Das Fazit der Experten: „Das deutsche und das österreichische Rentenrecht unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Leistungsniveaus, sondern in zahlreichen Gestaltungsmerkmalen.“
Vergleiche zwischen Deutschland und Österreich „problematisch“
Vergleiche seien „problematisch“ und „nur bedingt aussagekräftig“, sagt die Versicherung, wenn sie auf einzelne Regelungen und Kennzahlen beschränkt sind. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) befasste sich im Auftrag der Rentenversicherung auf 350 Seiten jüngst mit dem Vorbild Österreich. Beide waren am Ende zurückhaltend mit der Übernahme dortiger Rentenrezepte.
Niedrige Renten haben mehrere Ursachen. Viele Selbstständige, Beamte oder Hausfrauen bzw. Hausmänner können zum Beispiel eine sehr kleine gesetzliche Altersrente beziehen, weil sie irgendwann in ihrem Leben mindestens fünf Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung erläutert. Fünf Jahre sind die Mindestdauer für eine Rente. Als rentenmindernd bei vielen westdeutschen Frauen gelten zudem längere Arbeitspausen, mehr Teilzeit und niedrigere Löhne. (cgsc mit dpa)