Leipzig – Während alle den Klimakiller CO₂ verteufeln, hat ihn ein Start-up aus Leipzig gezähmt. Die EnaDyne GmbH hat den Spieß einfach umgedreht und macht aus umweltschädlichem Kohlendioxid gefragte Chemieprodukte, aus denen nützliche Dinge und nachhaltige Treibstoffe hergestellt werden können. Bislang sind dafür Erdöl oder Erdgas notwendig. Das Geheimnis der Firma ist ein neuartiger Plasmareaktor, der gerade zur Marktreife gebracht wird. Manche vergleichen die Technologie mit der Einführung von E-Fahrzeugen und bezeichnen EnaDyne schon als “Tesla der Chemie”.
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Die zündende Idee kam beim Duschen. Als Chemieingenieur Christian Koch (44) vor zehn Jahren in seiner Wohnung in Leipzig-Gohlis unter der warmen Brause stand, überfiel ihn förmlich eine Idee. “Ich hatte plötzlich die Eingebung von einem neuen Werkstoff”, erinnert sich der Verfahrenstechniker.
Mit einem speziellen Keramikmaterial rüstete er die Elektroden am Versuchsaufbau seines neuartigen Plasmareaktors auf. Und tatsächlich verlief die Reaktion dank des neuen Materials viel energieeffizienter.
Was Koch damals noch nicht ahnte: Durch sein immerhin halbstündiges Warmduschen hatte er wahrscheinlich ganz nebenbei das CO₂-Problem der Zukunft gelöst.
Denn mithilfe seines Plasmareaktors lässt sich der Klimakiller Kohlendioxid in nützliche Rohstoffe verwandeln, ohne dass dafür Erdöl oder Erdgas gebraucht werden. Das kann künftig in der Erde bleiben.
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Je nachdem, wie er eingestellt wird, kann Kochs Reaktor ganz unterschiedliche Industrieprodukte erzeugen: zum Beispiel Ethanol, das zur Herstellung von Desinfektions- und Lösungsmitteln gebraucht wird.
Oder Propylen, das in Lebensmittelverpackungen und Kunststoffflaschen steckt. Propanol als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Insektiziden und Arzneimitteln. Butanol, das in Polituren und Reinigungsmitteln vorkommt. Oder auch Methanol.
So sollen die neuen Kreuzfahrtschiffe von MSC Cruises und “Mein Schiff 7” von TUI Cruises beispielsweise mit Methanol-Antrieb fahren. Auch synthetisches Kerosin und die Öko-Treibstoffe der Zukunft basieren auf Methanol.
Zur Weiterentwicklung der Technologie gründete Koch gemeinsam mit drei Freunden die Firma enaDyne. “Der Firmenname sollte griffig und international verständlich sein”, erklärt Geschäftspartner Philipp Hahn (40). “‘Dyne’ steht zum Beispiel für den quantendynamischen Prozess, den wir mit unserem Elektrodenmaterial ausnutzen.”
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Inzwischen arbeiten 17 Spezialisten in der Firma daran, die Technologie marktfähig zu machen. In spätestens vier Jahren soll der Prototyp eines Containers fertig sein, in dem über 200 einzelne enaDyne-Reaktoren werkeln. “Solche Container werden künftig bei Biogasanlagen oder in chemischen Betrieben stehen”, ist sich Hahn sicher.
Vergangenen Monat sicherte sich das Leipziger Start-up das Siegerpodest des Sächsischen Gründerpreises 2024.
Das Katalyseverfahren ist inzwischen in Deutschland, den USA und Asien patentrechtlich geschützt. Hahn: “Derzeit erwarten wir Bestätigungen für weitere Patente.”
Und wer weiß: Wenn mal wieder die Wasserrechnung bei Christian Koch in die Höhe schnellt, vielleicht wird dann die nächste Gamechanger-Technologie geboren …
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Das Zauberwort des Leipziger Start-ups lautet kalte Plasmakatalyse. Katalytische Prozesse gibt’s in der Chemie zwar schon seit über 100 Jahren, doch damit die Reaktion in Gang kommt, sind bislang Temperaturen von über 700 Grad und hoher Druck von 40 bis 70 Bar (zum Vergleich: Luftdruck=1 Bar) nötig.
Das Besondere der Leipziger Lösung: “Wir brauchen nur 50 bis maximal 150 Grad und lediglich normalen Umgebungsdruck”, erklärt Hahn. Das spart Energie und ermöglicht eine modulare Bauweise.
Hahn: “Unser Reaktor wird am Ende nur maximal 70 Zentimeter lang bei einem Durchmesser von 30 Zentimetern sein.” Ein wahrer Zauberstab.
Das Prinzip des Leipziger Plasmareaktors funktioniert wie im Märchen Rumpelstilzchen. Dort wird Stroh zu Gold gesponnen und damit ein im Überfluss zur Verfügung stehender, billiger Ausgangsstoff in ein wertvolles Produkt verwandelt.
Die “Spindel” der Leipziger funktioniert ähnlich – vergleichbar mit einem Mischpult mit vier Reglern: Zum einen lassen sich die Elektroden im Reaktor in Form und Beschichtung verändern und austauschen.
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Regler Nummer zwei dosiert den Mix der Gase, die auf der einen Seite des “Zauberstabs” hineingehen – mehr oder weniger Kohlendioxid, Methan oder Wasserstoff. Der dritte Regler bestimmt die Einstellung des Plasmas und wie die darin befindlichen Elektronen angeregt werden. Mit dem vierten Regler wird schließlich der Katalysator im System eingestellt, der die Reaktion steuert.
Je nachdem, wie man an welchen Reglern wie stark “dreht”, wird beeinflusst, was am anderen Ende des Zauberstabs herauskommt – nützliche Chemie von Methanol bis Propylen.
Ein Leuchten verrät, dass es funktioniert: Schimmert der Reaktor lila-blau, kann die Verwandlung beginnen. Dann hat das Plasma gezündet.
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Bislang geht es dem Klimakiller CO₂ nur an den Kragen, indem man das Treibhausgas aus der Luft saugt oder im Erd- und unter dem Meeresboden versenkt. So baute das Schweizer Unternehmen Climeworks die weltweit erste Anlage zur CO₂-Entnahme.
Dabei holen Ventilatoren und Filter das Kohlendioxid aus der Luft. Doch die Kapazität ist noch mager: Die Anlage kann wie ein Staubsauger 4000 Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Luft saugen – das macht gerade einmal so viel aus, wie 500 Deutsche jährlich verursachen.
Zudem ist das Verfahren teuer (für 1 Tonne CO₂ werden 600 Euro fällig) und braucht viel Energie. Geschätzte Optimierungszeit: zehn bis 20 Jahre.
In Norwegen wird CO₂ aus Industrieanlagen unter dem Meeresboden angelagert. Dabei wird das Gas mit einer Chemikalie vermischt, erhitzt, um verflüssigt transportiert werden zu können. Im Sandstein in 2600 Metern Tiefe wird es dann verpresst.
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Vor einem Jahr wurde zudem im Südchinesischen Meer Chinas erstes Offshore-Projekt zur Kohlenstoffspeicherung in Betrieb genommen.