Russlands Auftragsmörder zurück: Warum Putin den Tiergartenmörder befreit
Der Tiergartenmörder ist zurück in Russland, befreit durch einen Gefangenenaustausch. Putin begrüßt ihn mit einer Umarmung und löst damit Spekulationen aus.
Moskau – Die nächtliche Landung eines Flugzeugs in Moskau erinnert eher an einen Staatsbesuch als an einen Gefangenenaustausch. Aus der Maschine steigen jedoch keine Staatsoberhäupter, sondern verurteilte Kriminelle. Ein von Russland veröffentlichtes Video dokumentiert die Rückkehr russischer Staatsbürger, die durch einen Gefangenenaustausch mit westlichen Nationen zurückgebracht wurden. Unter ihnen befindet sich auch Vadim Krassikow, ein in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder – besser bekannt als der „Tiergartenmörder“.
Die Häftlinge werden flankiert von russischen Militärs auf einem roten Teppich empfangen. Doch das ist noch nicht alles – der russische Präsident Wladimir Putin begrüßt die Häftlinge persönlich. Jeder von ihnen erhält einen Handschlag vom Präsidenten. Für den „Tiergartenmörder“ Krassikow lässt Putin jedoch alle Formalitäten fallen und heißt ihn mit einer Umarmung willkommen.
Wieso Putin den Tiergartenmörder befreit – Russlands Auftragskiller zurück in Moskau
Im Jahr 2019 tötete Krassikow den Tschetschenen Selimchan Changoschwili mit zwei Schüssen in der Berliner Parkanlage „Kleiner Tiergarten“. Zwei Passanten beobachteten den Mörder, wie er sich nach seiner Tat in einem Gebüsch umzog und alarmierten die Polizei. In der nahe gelegenen Spree fanden Beamte ein Fahrrad, die Kleidung des Täters und die Tatwaffe – eine Pistole mit Schalldämpfer vom Hersteller Glock.
Der Mord an Changoschwili soll auf seine Beteiligung im zweiten Tschetschenienkrieg zurückzuführen sein. Dort kämpfte der georgische Staatsbürger gegen russische Soldaten und soll an einem brutalen Überfall auf eine Polizeistation in Nasran, einer Stadt in der russischen Teilrepublik Inguschetien, beteiligt gewesen sein. Bei dem Überfall im Jahr 2004 starben etwa 78 Personen. Über 100 weitere Menschen sollen verletzt worden sein.
Im Dezember 2021 verurteilte das Gericht in Berlin Krassikow wegen Mordes zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. „Die Richterinnen und Richter waren in der 14 Monate währenden Hauptverhandlung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte den als Asylbewerber in Berlin lebenden Tornike K. am 23. August 2019 im Auftrag staatlicher russischer Stellen in der Parkanlage ‚Kleiner Tiergarten‘ erschossen hatte, um Vergeltung für dessen Einsatz im Zweiten Tschetschenienkrieg zu üben“, so eine Pressemitteilung. In den folgenden Jahren wird Putin mehrfach versuchen, den Tiergartenmörder aus seiner Gefangenschaft in Deutschland zu befreien.
Kreml zu Tiergartenmörder – „ist ein Mitglied des FSB“
Aber warum ist Putin die Freiheit eines in Deutschland verurteilten Mörders so wichtig? Die Antwort könnte der Kreml nun selbst geliefert haben. „Krassikow ist ein Mitglied des FSB“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. Er soll zudem der Eliteeinheit „Alpha“ des russischen Geheimdienstes angehört haben. „Er hat mit mehreren (derzeitigen) Beschäftigten für den Sicherheitsdienst des Präsidenten gearbeitet“, so Peskow weiter.
Dies stellt eine direkte Verbindung zum russischen Präsidenten her, der seine Karriere in Russland ebenfalls als Mitarbeiter des Sowjet-Geheimdienstes KGB begann. Wie die Berliner Morgenpost berichtete, gebe es in Geheimdienstkreisen auf der ganzen Welt ein Versprechen – einen im Ausland aufgeflogenen und inhaftierten Kollegen lässt man nicht im Stich.
Mord im Tiergarten „patriotisch“ – Putin nennt Details zu Krassikow
Es ist also möglich, dass Putin den Tiergartenmörder aus Kollegialität unter Geheimdienstlern aus der Haft befreit hat. Doch in einem Interview mit dem ehemaligen Fox News-Journalisten Tucker Carlson nannte der Autokrat einen weiteren Grund, warum er Krassikow unbedingt befreien wollte.
Im Gespräch mit Carlson nannte Putin zwar keine direkten Namen, sprach aber davon, dass er eine Person mit einem Gefangenenaustausch befreien wolle, die in einem „mit den USA verbündeten Land“ im Gefängnis sitze. Der Grund für die Haft sei, dass er einen „Banditen“ in einer „europäischen Hauptstadt liquidiert“ habe.
Gefangenenaustausch als Propaganda – Putins neuer Patriotismus
Dass Putin so sehr auf den Patriotismus von Krassikow pocht, könnte ebenfalls einem Plan des Kreml-Chefs entsprungen sein. Wie der Deutschlandfunk berichtete, habe in Russland mit dem Ukraine-Krieg ein neuer Nationalismus Einzug gehalten, der das Land als umzingelt von ausländischen Feinden beschreibt. Die Botschaft Putins: Russland weiß sich gegen seine Feinde zu wehren.
Ein Beispiel dafür sei die Inszenierung der russischen Streitkräfte mit Kreml-Chef Wladimir Putin. „Von heute an werden sich stets insgesamt 20 Flugzeuge in dauernder Kampfbereitschaft befinden“, hieß es in einer russischen Propaganda-Inszenierung. Putin gab dieses Versprechen als Reaktion auf ein vermeintliches „Sicherheitsproblem“ durch ausländische Flugzeuge.
In dieses Bild passt auch der Fall des Tiergartenmörders. Wenn Putin ihn als Patrioten bezeichnet, der einen ausländischen Feind „liquidiert“, könnte der Kreml-Chef damit die Erzählung eines wehrhaften Russlands befeuern. Und in der russischen Gesellschaft kommen solche Machtdemonstrationen mittlerweile gut an, wie der Politologe Leonid Radzichovskij im Deutschlandfunk bestätigt: „Die Gesellschaft ist von oben bis unten von dieser Ideologie genauso infiziert wie die Macht!“
Warum Deutschland den Tiergartenmörder freilässt – Paragraf liefert die Antwort
Dass Deutschland den Tiergartenmörder mit dem Gefangenenaustausch vorzeitig aus der Haft entlassen hat, sorgte unter den Angehörigen von Changoschwili für Unverständnis. „Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige“, teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen-Presseagentur (dpa) mit. Daran ändert auch die Freilassung von mehreren politischen Gefangenen aus Russland, wie den US-Journalisten Evan Gershkovich, nichts. „Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt.“
Dass der Tiergartenmörder überhaupt freigelassen wurde, liegt laut dem Strafrechtler Erol Pohlreich an einem einzigen Paragrafen. Gegenüber IPPEN.MEDIA erklärte Pohlreich, dass der Paragraf 456a der Strafprozessordnung eine frühzeitige Entlassung aus Bewährung ermögliche, wenn ein ausländischer Gefangener aus dem Bundesgebiet abgeschoben werde.
Weshalb der Paragraf dieses Vorgehen zulasse, sei dem Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt am Main nicht gänzlich klar. „Vermutlich steht dahinter die Idee, dass Gefangene nach ihrer Abschiebung ins Ausland keine Gefahr mehr für die hiesige Bevölkerung darstellen und dass die mit jeder Haft verbundenen hohen Kosten für den Fiskus an anderer Stelle sinnvoller investiert sind.“
Spione beim Gefangenenaustausch – Tiergartenmörder nicht Putins einziger Spion
Krassikow ist zwar sicherlich der prominenteste Gefangene, den Putin mit dem Gefangenenaustausch befreit. Der einzige Geheimdienstmitarbeiter ist er aber nicht. Ebenfalls an Bord der Maschine waren Artjom Dulzew und Anna Dulzewa. Bei dem Paar handelt es sich laut der Zeit um zwei russische Spione, die unter falscher Identität in Slowenien lebten. Dort wurden beide auch verhaftet.
Der Hacker Roman Selesnjow wurde ebenfalls von Putin in Empfang genommen. Mit dem Diebstahl von Kreditkartendaten soll er einen Schaden in Höhe von etwa 169 Millionen US-Dollar verursacht haben. US-Beamte sollen ihn bei einem Urlaub auf den Malediven festgenommen haben, so die Zeit.
Putin sicherte allen Befreiten staatliche Auszeichnungen zu. „Ich werde Sie wiedersehen und wir werden über Ihre Zukunft sprechen“, zitiert die Berliner Morgenpost den Autokraten. Umarmt hat er aber nur einen von ihnen. (nhi)