Sowjetisches Erbe
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Die “Russenhäuser” von Berlin-Karlshorst
In Karlshorst gammeln seit 30 Jahren “Russenhäuser” als Relikt der Sowjetarmee vor sich hin – trotz des massiven Wohnungsmangels. Abriss oder Neubau blockierte bislang die Eigentümerin. Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache. Von Caroline Winkler und Sylvia Lundschien
Fährt man aus der Berliner Innenstadt raus in den Stadtteil Karlshorst, zwischen Friedrichshain und Köpenick gelegen, fallen gleich hinter dem Ausgang des S-Bahnhofs drei leerstehende Wohnblöcke auf. Während die Nebenhäuser saniert und in freundlichem Grün strahlen, stehen die als “Russenhäuser” bekannten Gebäude seit 30 Jahren leer und verfallen.
An diesem Ort, an der Kreuzung Andernacher Straße und Königswinterstraße, landet Ende Juni für vier Tage das “Ufo” der Künstlerinnen und Künstler Jeremy Knowles, Hannah Alongi, Katya Romanova. Es ist ein Pop-up-Kiosk, der bunt behangen viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Künstler:innenkollektiv serviert dort Kaffee und Kuchen, stellt Hocker auf den Gehweg, lädt die Menschen ein zu verweilen und stellt die Frage: “Was ist deine Verbindung zu den Häusern und der Geschichte des Abzugs?” Gemeint sind jene “Russenhäuser” in Lichtenberg, die seit dem Abzug russischer Soldaten im September 1994 leerstehen – und aktuell wieder für politische Debatten sorgen.
Immer wieder bleiben an jenen vier Junitagen Passantinnen und Passanten stehen, nehmen sich einen Kaffee, füllen einen Fragebogen aus und beginnen zu erzählen. Die Anwohnerinnen und Anwohner berichten vom russischen "Magasin"-Konsum, von Waschbären, die in den verlassenen Wohnblöcken hausen, oder von der "Letzten Parade" der russischen Truppen in der Wuhlheide 1994.
Anwohner Wolfgang Schneider von den Karlshorster "Geschichtsfreunden" teilt in einem Vortrag vor 30 Personen sein umfangreiches Insiderwissen. Ricardo Neuner, Kurator der Ausstellung "Der letzte Abzug" im Museum Lichtenberg, führt eine Traube Menschen durch den Kiez und seine Geschichte. Der Historiker Christoph Meißner erzählt die Geschichte des Abzugs der russischen Truppen. Über ihm, am Kiosk, hängt ein Plakat mit der zentralen Frage: "Was soll mit den Russenhäusern passieren?"
Kalter Krieg, KGB, Kapitalismus
Bis zum militärischen Abzug waren in den Gebäuden aus den 1920er und -30er Jahren sowjetische Offiziere untergebracht. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sowjetische Einheiten am 4. Mai 1945 ganz Karlshorst zum Sperrgebiet erklärt. Bewohnerinnen und Bewohner mussten innerhalb von 24 Stunden ihre Häuser räumen. Karlshorst wurde zum Sitz der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und die Sowjetarmee nutzte neben Kasernen, in denen Soldaten untergebracht waren, Villen, um hier ihre Offiziere mit Familien unterzubringen. Ein Hauch von Agenten-Krimi lag über dem Viertel im Berliner Osten.
Schrittweise wurde 1949 nach Gründung der DDR und 1963 nach dem Mauerbau das Sperrgebiet verkleinert und ein Teil der beschlagnahmten Gebäude den Eigentümern zurückgegeben. Die Sowjetarmee blieb aber weiter in Karlshorst stationiert.
Als dann 1994 die russischen Truppen endgültig abzogen, wurden die von ihnen genutzen Liegenschaften - wie etwa das Theater (bekannt als "Offizierskasino"), das heutige Museum Karlshorst, die Kasernen und Villen an das Land Berlin bzw. die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zurückgegeben - nicht aber die drei Wohnblöcke in Karlshorst. Sie gehören bis heute samt Grundstücken der Russischen Föderation.
"Russenhäuser" als Zeugnis einer untergegangenen Ära
Dass jene Häuser und Grundstücke Russland gehören, war offensichtlich lange kein dringliches Thema für die Berliner Politik. Unklar ist, warum die Besitzverhältnisse der Ensembles im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, aber spätestens mit dem Abzug des russischen Militärs nicht eindeutig geregelt wurden. Mindestens eine Karlshorster Bürgerinitiative versuchte Anfang der 1990er Jahre, Licht in das Wirrwarr der Zuständigkeiten zu bringen - vergeblich.
30 Jahre später sind die Fassaden der Russenhäuser marode und morbides Zeugnis einer untergegangenen Ära von Kaltem Krieg, KGB und Stasi. Die Bauten wirken wie Lost Places im Dornröschenschlaf, unklar ist, ob sie überhaupt noch bewohnbar sind. Bauzäune schützen vor unbefugten Besuchen, gerüchteweise sollen hier russischsprachige Männer zweimal im Jahr Gras mähen.
Erst am 17. Februar 2020 kam wieder Bewegung in die Sache. Der damalige Berliner Staatssekretär und heutige Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Christian Gäbler (SPD), machte für die Stadt Berlin in einem Schreiben an die Botschaft der Russischen Föderation Interesse an einem Rückkauf der Liegenschaften geltend. Doch eine Antwort der Botschaft erhielt er nicht.
Mehr Glück hatte da offensichtlich ein Zahnarzt aus Neukölln, der kurze Zeit später mit einer Vollmacht der Präsidialverwaltung des Kreml angab, die "Russenhäuser" und drei weitere Liegenschaften der Russischen Föderation verkaufen zu wollen, wie der "Spiegel" aufdeckte [spiegel.de/Bezahlinhalt]. Ein perfekter Deal, der für Begeisterung im Bezirk sorgte. 2021 wechselten dann die morschen russischen Ensembles in Karlshorst tatsächlich den Besitzer für 13,5 Millionen Euro – nur: Der russische Staat wusste davon nichts. Die Vollmachten des Zahnarztes waren gefälscht. Die russische Botschaft in Berlin erstattete Anzeige, und bis heute sind 1,8 Millionen Euro des Immobilienbetrugs spurlos verschwunden.
Karlshorster CDU-Politikerin will politische Lösung für "Russenhäuser"
Frischen Wind in die Sache bringt neben dem Künstlerkollektiv die CDU-Politikerin Lilia Usik aus Karlshorst. Die gebürtige Ukrainerin setzt sich aktuell für eine politische Lösung ein, will das Areal vor allem für Wohnungen nutzen – Stichwort Wohnungsnot. Zudem käme das Thema "immer mal wieder auf ihren Tisch", so Usik im Gespräch mit rbb|24. Vor allem wollten die Anwohner wissen, wie es sein kann, dass die Gebäude zunehmend weiter verfallen.
Usik stellt daher Ende Juni eine schriftliche Anfrage an das Abgeordnetenhaus [ pardok.parlament-berlin.de]: Wann wurde ein Kontakt zur Russischen Föderation hergestellt, welche Pläne gibt es für das Areal? Doch die Antwort des Senats etwa zwei Wochen später fällt ernüchternd aus: "Konkrete Pläne zur Nutzung der Häuser durch den Senat und das Bezirksamt setzen eine Rückübertragungsbereitschaft der Russischen Föderation voraus", heißt es da. "Hieran fehlt es jedoch derzeit." Wieder mal eine Sackgasse.
Doch die CDU-Politikerin entscheidet sich, ihr Anliegen in das EU-Parlament zu tragen und mögliche Sanktionen gegen Russland zu prüfen, wie bereits die " Bild" vor einigen Tagen berichtete. EU-Sanktionen gegen Russland, das 2022 die Ukraine militärisch angegriffen hat, könnten ein Hebel sein. Rein rechtlich wäre dieses Vorgehen denkbar – denn die Russische Föderation, so geht aus der Antwort der Senatsverwaltung hervor, würde wie ein normaler ausländischer Grundstückseigentümer behandelt. Besondere diplomatische Privilegien gebe es hier nicht.
Ob dies letztlich gelingt, ist derzeit noch unklar. Usik sagt, sie plane nach der Sommerpause Gespräche mit CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sowie dem Berliner Senator für Stadtentwicklung, Gäbler. Ebenso räumt sie im Gespräch mit dem rbb ein, dass eine derartige Aneignung russischer Immobilien der "erste Fall dieser Art in Deutschland wäre". Denn eigentlich wolle auch die EU keine russischen Immobilen einfrieren, so Usik weiter. Mit dem Verfahren könnte ein Präzedenzfall entstehen, der auch andere russische Immobilien in Deutschland oder der EU beträfe.
Ergebnisse des Projekt-Kiosks "Russenhäuser" werden in Ausstellung gezeigt
Stück für Stück baut derweil das Künstler:innenkollektiv aus Jeremy Knowles, Hannah Alongi, Katya Romanova den Kiosk-Anhänger am letzten Projekttag ab. Zahlreiche Gespräche und viel Austausch seien zustande gekommen, erinnert sich Projektmitglied Romanova. Es habe viele unterschiedliche Reaktionen auf den Kiosk gegeben – viele Nachbarinnen und Nachbarn fragten sich, warum hier nichts passiere und der deutsche Staat anscheinend nicht mehr Instrumente gegen die Russische Föderation als Eigentümerin in der Hand hätte.
Manche seien enttäuscht gewesen, dass das Künstler:innenkollektiv eher an Geschichten und weniger an Krawall interessiert gewesen sei und die Wohnblöcke nicht einfach besetze – ähnlich wie im Fall der "Russenhäuser" in Köln [t-online.de]. Manche, so Romanova, seien auch froh, dass die Häuser vor sich hingammeln – denn eine Umgestaltung bedeute vielleicht auch teurere Häuser und weniger Parkplätze. Und manche wünschten sich auch, man solle nicht so viel politischen Druck auf Russland ausüben, mehr miteinander reden.
Im Kunstraum Gisela stellt das Künstler:innenkollektiv vom 2. bis 16. August die ersten Ergebnisse des viertägigen Projekt-Kiosks aus. Und: Sie wollen weiterforschen. Ob nach 30 Jahren tatsächlich Bewegung – auch ins Innere der "Russenhäuser" kommt – wird sich zeigen.
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