Washington. Noch hält Biden an der Kandidatur fest, doch die Unterstützer gehen ihm von der Fahne. Wie seine Vizepräsidentin ihn beerben kann.
Es ist jetzt vielleicht nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf nach dem Attentatsversuch auf Donald Trump die nächste überraschende Wende nimmt. In Kreisen der demokratischen Parteispitze hat sich nach übereinstimmenden Medienberichten der Eindruck erhärtet, dass US-Präsident Joe Biden schon an diesem Wochenende offiziell seine Kandidatur für die Wahl im November aus Altersgründen aufgeben und den Weg für seine Vize-Präsidentin Kamala Harris freimachen könnte.
Die 59-jährige ehemalige Senatorin und Generalstaatsanwältin von Kalifornien könnte – vorausgesetzt Biden entbindet vorher die ihm verpflichteten 3900 Delegierten auf dem Nominierungsparteitag Mitte August in Chicago – dann mit einem eigenen Vize-Präsidentschaftskandidaten um die Zustimmung des Parteitags bitten.
Biden würde Trump ins Amt verhelfen
Im Moment werden die Namen von Senator Mark Kelly( Arizona), ein ehemaliger Nasa-Astronaut, sowie von den Gouverneuren Andy Beshear (Kentucky) und Roy Cooper (North Carolina) gehandelt. Ihre Kollegen Gavin Newsom (Gouverneur Kaliforniens) und Gretchen Whitmer (Gouverneurin Michigans) sollen signalisiert haben, dass sie nicht die zweite Geige spielen wollen.
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Würde Harris in Bidens Fußstapfen treten, hätte sie leichter als Dritt-Kandidaten, die sich auf dem Parteitag zur Wahl stellen könnten, Zugriff auf die mit über 200 Millionen Dollar gefüllte Wahlkampfkasse Bidens.
Bidens Entscheidung sei noch nicht abgeschlossen, soll die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, gegenüber Parteifreunden gesagt haben. Aber der Präsident neige allmählich der Beurteilung zu, dass sein Verbleib an der Spitze des Tickets dem republikanischen Herausforderer Donald Trump am 5. November ins Amt verhelfen und den Demokraten im Kongress eine verheerende Niederlage beibringen könnte.
Zuvor hatten Pelosi, Senatsführer Chuck Schumer und der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Hakeem Jeffries, Biden anhand von diversen Umfragen verdeutlicht, dass er nach seinem massiven Fehltritt im TV-Duell gegen Trump vor drei Wochen auf verlorenem Posten steht. Über zwei Drittel der Amerikaner bezweifeln, dass der 81-Jährige mental in der Lage wäre, eine zweite Amtszeit zu absolvieren.
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Wie Harris jetzt an die Spitze rücken kann
Ob Biden seine Stellvertreterin explizit empfiehlt, sei noch offen, sagen Insider in Washington. Um zu verhindern, dass der Parteitag ein ihm vorgesetztes Personalpaket ablehnt, könnte es auch vorher zu einer Mini-Vorwahl mit vier, fünf willigen Kandidaten kommen und sich am Ende dann der Sieger/die Siegerin die offiziellen Weihen in Chicago abholt.
Führt auch dies nicht zu einer gütlichen Einigung ohne größere Friktionen, käme es in Chicago zum ersten Mal seit 1968 zu einer „offenen convention”. Das heißt: Der neue demokratische Präsidentschaftskandidat oder die -kandidatin würde erst zwischen dem 19. und 22. August bestimmt, möglicherweise mit Kampfabstimmungs-Charakter.
Im ersten Wahlgang dürften nur die 3900 „pledged” (also klar zugeordneten) Delegierten aus den 50 Bundesstaaten wählen. Bekommt keine der angetretenen Kandidaten eine Mehrheit, dürfen in Runde zwei 700 sogenannte „Super-Delegierte” mitmachen; das sind Partei-Offizielle und gewählte Beamte.
Chancen von Harris gegen Trump unklar
Ob Harris eindeutig bessere Sieg-Chancen gegen Trump hätte als Biden, ist im Moment nicht klar auszumachen. In einigen Umfragen liegt sie vor Biden, in anderen hinter ihm, in wieder anderen nahezu gleichauf. 44 Prozent der Amerikaner insgesamt und 70 Prozent der demokratischen Wähler wären nach aktuellem Stand mit einem Harris-statt-Biden-Wechsel einverstanden.
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Wie sich ein Last-Minute-Personalwechsel bei den Demokraten auf das Präsidentschaftsrennen auswirken würde, ist offen. Trumps Berater Jason Miller erklärte am Donnerstag, es mache keinen Unterschied. Egal, wen die Demokraten aufböten, derjenige oder diejenige sei mitverantwortlich für die „wirtschaftliche Zerrüttung” des Landes. Trump selber hatte Harris kürzlich massiv attackiert: „Sie ist so schlecht, sie ist so erbärmlich”, sagte er.
Harris leistete sich Patzer
Die Tochter eines Jamaikaners und einer Ärztin aus Indien durchbrach 2021 als erste Frau und erste Schwarze im Amt der Vize-Präsidentin eine Glasdecke. Allerdings blieb sie im Amt über weite Strecken eher blass. Auch, weil Biden ihr mit dem Dossier illegale Einwanderung/Grenze zu Mexiko eines der schwersten innenpolitischen Themen überantwortet hatte. Harris leistete sich hier in Interviews und bei öffentlichen Auftritten Patzer und wirkte teilweise überfordert.
In den vergangenen Monaten stabilisierte sich Harris deutlich und gewann vor allem durch resolute Auftritte in der Debatte um das Recht auf Abtreibung an Statur. Als ehemalige Generalstaatsanwältin könnte sie bei einer TV-Debatten-Konfrontation mit Donald Trump dessen strafrechtliche Verwicklungen fachlich punktgenau aufgreifen.
Joe Biden könnte das ganze Verfahren erleichtern, indem er nicht nur von der Kandidatur, sondern vom Amt selber zurücktritt. Harris würde dann automatisch in all seine Funktionen rutschen. Biden hatte dazu jüngst auf dem Nato-Gipfel in Washington gesagt, dass er Harris 2020 nicht ausgesucht hätte, wenn er nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass sie den Top-Job ausfüllen kann.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Ob Biden in den nächsten Tagen als Präsident zurücktreten könnte, ist völlig offen. Das Weiße Haus hält sich bedeckt. Bidens Wahlkampagne dementierte die Berichte komplett. Der Präsident werde seine Kandidatur nicht beenden, sagte ein Sprecher.