US-Wahlen – Harris und Trump: Das große Beben
Eine wirtschaftliche Rezession in den USA könnte Donald Trump in die Karten spielen.
Es ist längst mehr als eine Binsenweisheit, dass Zinskurven die Welt dramatisch verändern können. Der Börsencrash 1929 gilt allgemein als Auftakt einer Katastrophe, die im Zweiten Weltkrieg mündete und Millionen Tote forderte. Als 2008 die Börsenkurse taumelten, folgte für viele Länder im Süden Europas eine Zeit wirtschaftlicher Depression und hoher Arbeitslosigkeit – als Folge wuchs der politische Populismus. Und im Augenblick halten nicht allein die Aktieninhaber die Luft an. Auf den Börsencrash in Japan folgte zwar ein rasanter Aufschwung des Nikkei-Index. Doch die Angst vor einer Rezession geht weltweit um. Besonders die Vereinigten Staaten, die bislang mit einem robusten Arbeitsmarkt und ungebremster Konjunkturlaune auffielen, werden zunehmend zum Problem.
Es ist dabei besonders eine Zinskurve, die Sorgen bereitet: An den Anleihemärkten zeigt sich eine Entwicklung, die eine pessimistische Sichtweise im Hinblick auf die nahe Zukunft nahelegt. Denn die mittel- und langfristigen Zinsen sind so stark gesunken, dass sich die Zinskurve umgekehrt hat. Das bedeutet, dass für kurze Laufzeiten von US-Staatsanleihen mehr Zins anfällt als für längere Laufzeiten. Nun scheint ein Unterschied von einigen Basispunkten nicht besonders bedeutsam. Warum also sollte es Privatinvestoren kümmern, wenn kurzfristige US-Staatsanleihen geringfügig höhere Zinsen bringen als langfristige? Die Antwort: Die Zinskurve ist einer der besten und einfachsten Indikatoren für eine Rezession. Und es gibt viele Gründe, sich davor zu fürchten.
Allan J. Lichtman ist jemand, der ein bemerkenswertes Talent dafür besitzt, die Ergebnisse von Präsidentschaftswahlen vorherzusagen, und das seit über 30 Jahren. Bereits 2016 sagte er Donald Trumps Wahlsieg voraus, zu einer Zeit, als die meisten seriösen Umfrageinstitute eine Niederlage des republikanischen Kandidaten prognostizierten. Lichtman, Professor an der University of America in Washington, D.C., stützt sich dabei auf ein System, das aus 13 Schlüsselfragen besteht. Mit diesen Fragen hat er erfolgreich die zukünftigen US-Präsidenten bestimmt. Dieses System hat der Historiker rückblickend genutzt, um zu erklären, warum bestimmte Kandidaten gewonnen haben. Gemeinsam mit dem russischen Wissenschaftler Wladimir Keilis-Borok analysierte er alle US-Präsidentschaftswahlen von Abraham Lincolns Sieg im Jahr 1860 bis zu Jimmy Carters Amtszeit, die 1981 endete. Aus dieser Analyse entwickelten sie 13 Kriterien, die jeweils mit „wahr“ oder „falsch“ beantwortet werden können. Diese Erkenntnisse hat Lichtman in seinem Buch „Predicting the Next President: The Keys to the White House 2016“ veröffentlicht und bei jeder Wahl aktualisiert. In einem Interview sagte Lichtman einmal: „Ich schaue in keine Kristallkugel. Die Schlüsselfragen basieren auf der Geschichte.“
Seine Fragen gelten etwa dem Erfolg der vorherigen Regierungen, dem Charisma der amtierenden oder herausfordernden Kandidaten oder Kandidatinnen. Es gibt Fragen zu Skandalen oder der Stimmung in der Gesellschaft. Können sechs oder mehr der Fragen mit „falsch“ beantwortet werden, hat rückblickend stets der Kandidat der amtierenden Partei verloren. Noch im März hatte Lichtman dem „Stern“ gesagt: „Es müsste eine Menge schiefgehen, damit Biden verliert.“ Nach dem missratenen TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump hatte er die Demokraten gewarnt, in Panik zu geraten. „Debatten sagen nichts über das Ergebnis voraus“, erklärte er im TV-Sender CNN. Im Gegensatz zu allem, was man gerade höre, sei die einzige Chance der Demokraten, das Weiße Haus zu behaupten, wenn sie auf Biden setzten, erklärte Lichtman noch vor wenigen Wochen. Wenn es einer wissen muss, dann er. Nur im Jahr 2000, als George W. Bush gegen Al Gore siegte, lag Lichtman daneben.
Doch nun laufen die Dinge nach dem Verzicht von Biden auf eine abermalige Kandidatur anders. Eine Konstante gibt es aber unabhängig auch von Lichtman. Präsidenten, deren Land sich wirtschaftlich im Abschwung befindet, erhalten meistens kein neues Mandat der US-Wählerschaft. Die Zinskurve könnte die Demokratische Partei also empfindlich treffen. Aber gilt dies auch dann, wenn nicht der Amtsinhaber, sondern wie in diesem Fall seine Stellvertreterin Kamala Harris ins Rennen um das höchste Amt geht? Alles in allem müsse „viel schiefgehen, damit Harris verliert“, sagte der Historiker Lichtman vor kurzem zu „News Nation“. Laut seiner Vorhersage halten die Demokraten mit Kamala Harris als Kandidatin derzeit sechs der 13 Punkte in der Hand. Die Republikaner hätten aktuell nur drei Punkte.
Harris liegt in dem von Lichtman gesetzten Rahmen vorne, wenn es um den Vorwahlwettbewerb, die kurzfristige und die langfristige Wirtschaftsprognose und politische Veränderungen geht. Zudem weise sie keinen Skandal auf und liege auch in einem anderen Punkt vor Trump: das fehlende Charisma des Herausforderers. Trump indes bemüht sich fortwährend, den Menschen im Land zu erklären, dass die Wirtschaft unter ihm Weltklasse-Niveau gehabt habe und nur unter ihm haben könne. Dabei gibt es eine Reihe von US-Ökonomen, die bereits in Trumps Amtszeit gar nichts von dessen Wirtschaftspolitik hielten.
„Wenn er eine oder zwei gute Ideen hat, gibt es gleich 20 schlechte“, sagte etwa der Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps im Gespräch mit der FR. „Man weiß nie, welche verrückte Idee er nun wieder im Kopf hat. Er hat nicht allein eine Menge Unruhe und Angst bei denen verursacht, die von seinen Initiativen betroffen sind“, betonte Phelps. Trump habe vielmehr für ein Klima der Ungewissheit gesorgt. „Für das Geschäft bedeutet das, dass Investitionen nun eher aufgeschoben werden. Die Unsicherheit ist einfach zu groß. Das drückt die Produktivität und das Wachstum“, sagte Phelps damals. „Bemühungen um Innovationen und neue Wege werden nun eher eingefroren. Es ist zurzeit unmöglich zu evaluieren, wo der Profit für neue Anstrengungen liegen könnte.“
Und Trump hatte einen weiteren großen Kritiker: den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. „Das breitere Bild der US-Wirtschaft ist viel weniger positiv, als Trump es darstellt. Ja, es wurden in Trumps Amtszeit viele Stellen geschaffen. Aber unter Obama war das Job-Wachstum am Ende stärker. Ebenso das Wirtschaftswachstum“, sagte er damals im Interview mit der FR. Wenn man Stiglitz mit der niedrigen Arbeitslosenzahl konfrontierte, die besonders aus europäischer Sicht bestaunt wird, erwiderte er: „Sie dürfen nicht nur die Arbeitslosenzahl anschauen, sondern auch die Zahl der Erwerbstätigen! Viele Leute sind aus dem Arbeitsmarkt verschwunden, ohne in der Arbeitslosenstatistik aufzutauchen.“
Dennoch kommt es auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in der nächsten Zeit an. Kommt es zu einem weltweiten Börsenbeben, könnte es schlagartig anders aussehen in den USA – und Trump das Rennen machen. Um es mit dem Historiker Lichtman zu sagen: „Man schaut nach der Stabilität – die amtierende Regierungspartei bleibt im Weißen Haus – oder nach einem Erdbeben – dann verliert die Partei das Weiße Haus und die Herausforderer gewinnen.“