Berlin. Seit dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel nehmen Hass und Hetze in den Szenen zu. Doch es gibt noch weitere Gefahren.
Der 7. Oktober war für Berlins Verfassungsschützer der bestimmende Tag des vergangenen Jahres. Der Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel und die militärische Reaktion Israels darauf im Gazastreifen wirkten sich mobilisierend auf fast alle Extremisten der deutschen Hauptstadt aus. In allen untersuchten Phänomenbereichen wurde die erneute Eskalation des Nahostkonflikts genutzt, um gegen Juden und den Staat Israel zu hetzen. So steht es im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2023, der am Dienstag vorgestellt wurde.
„Verfassungsfeinde waren und sind in Berlin zentrale Treiber von Antisemitismus und Israelhass“, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD). „Wir werden uns diesem Antisemitismus auch weiterhin mit aller Konsequenz entgegenstellen.“ Dabei sind die Personenpotenziale in den einzelnen Bereichen im Vergleich zum Vorjahr nahezu identisch geblieben. Zunächst betätigten sich vor allem Gruppierungen aus der heterogenen Szene des Auslandsbezogenen Extremismus, wie etwa das propalästinensische Netzwerk Samidoun oder Anhänger des türkischen Rechtsextremismus, an juden- und israelfeindlichen Aktionen.
Berlin: So hoch ist die Anschlaggefahr durch islamistischen Terror
Entgegen ansonsten vorherrschender ideologischer Spannungen wurden sie dabei von der islamistischen Szene unterstützt, beispielsweise durch Salafisten oder Anhänger von Hamas und Hisbollah. In Berlin werden derzeit etwa 1670 Personen dem auslandsbezogenenen Extremismus zugerechnet, 2380 gelten als Islamisten. Davon gehören wiederum 1110 der salafistischen Szene an, 350 von ihnen sind gewaltbereit. „Die Bedrohung durch den islamistischen Terror in Deutschland ist nach wie vor hoch“, warnte Spranger.
Die propalästinensischen Aktionen dieser Gruppierungen reichen bis heute von Demonstrationen und Kundgebungen, spontanen Sabotageaktionen und Besetzungen über Angriffe, Pöbeleien, Hass und Hetze im Netz und auf den Straßen bis hin zu antisemitischen Schmierereien und Brandanschlägen.
Diese rechtsextreme Organisation bereitet den Behörden Sorge
Doch auch die rechtsextremistische Szene in Berlin instrumentalisierte den Terrorangriff der Hamas und verbreitete antisemitische und rassistische Propaganda – auch wenn die Gemengelage hier etwas unklarer ist. Vereinzelte Akteure in der Neuen Rechten nutzten den Nahostkonflikt zuletzt auch, um wiederum gegen Muslime und Flüchtlinge zu hetzen. „Wir können jedoch sagen, dass in diesem Spektrum der traditionelle Judenhass überwiegt“, so Berlins Verfassungsschutzpräsident Michael Fischer.
Die potenzielle Zahl der Rechtsextremen wird in Berlin auf 1450 geschätzt. Zentraler Akteur bleibt die Partei „Der III. Weg“ und ihre Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ). Die NRJ sei eine „unangenehme Veranstaltung“, sagte Fischer. Ihre Zugkraft gerade auf junge Menschen etwa durch gezielte Kampfsport-Aktivitäten stelle in Berlin eine neue Qualität der rechtsextremen Nachwuchsgewinnung dar. „Die Angriffe des III. Wegs zeigen, dass die Schwelle zur Gewalt als politisches Mittel längst überschritten wurde“, kommentierte die Grünenpolitikerin June Tomiak. In solchen Fällen müsse eine effektive Strafverfolgung erfolgen, sagte sie.
Warum die Abgrenzung extremistischer Szenen schwieriger wird
Ein differenziertes Bild gibt indes der Berliner Linksextremismus ab. Das gewaltorientierte Personenpotenzial ist hier weiterhin rückläufig, insgesamt werden 3700 Menschen dem Spektrum zugeordnet. Auch wenn die Haltung zu Israel die Szene zuletzt tief spaltete, dominierten gerade in der antiimperialistischen und dogmatischen Linken überraschend scharfe antiisraelische und antizionistische Positionen, so Innensenatorin Spranger. Teilweise seien Aussagen, die den Terror der Hamas als „Freiheitskampf“ bezeichnen, „salonfähig“ geworden. Das habe zuletzt auch die „Kaperung“ der traditionell antikapitalistischen 1. Mai-Demonstration durch den Nahostkonflikt gezeigt.
Auch die Berliner Gewerkschaft der Polizei GdP weist darauf hin, dass die Grenzen zwischen den extremistischen Milieus gar nicht mehr so einfach zu ziehen seien und es bei gleichen Feindbildern wie Israel sehr heterogene Zusammenschlüsse gebe. „Genau deshalb müssen wir Entwicklungen beobachten“, sagte GdP-Landechef Stephan Weh. „Eine Notwendigkeit, für die unserer Polizei das Personal, die technische Ausstattung und rechtliche Handhabe fehlt.“ Daher bedürfe es im Kampf gegen Verfassungsfeinde auch engerer Regularien für die Betreiber Sozialer Netzwerke und Plattformen sowie Kontrollmechanismen von Islamschulen und Vereinen und Gruppierungen, die staatliche Förderungen erhalten.
Als weitere Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Berlin gelten sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter (Personenpotenzial 700, davon 150 rechtsextremistisch), Staatsdelegitimierer (Personenpotenzial 150) sowie die Cyberangriffe, Spionage, Desinformationskampagnen und Sabotageaktionen durch Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs.