Warum ich keine Pazifistin bin
Aggressoren lassen sich nicht durch Worte aufhalten. Demokratie und Wohlstand gibt es bei uns nur, weil die Nazis mit Waffen besiegt wurden. Die Kolumne
Manchmal hätte ich es auch lieber klarer und übersichtlicher. Dann wäre ich vielleicht Pazifistin und wüsste ganz genau, was und wer zu verurteilen ist, weil ich Gewalt ablehne. Vielleicht könnte ich dann besser schlafen.
Aber so funktioniert die Welt nicht. Abgesehen davon, war ich noch nie Pazifistin. Als Kind von Überlebenden der Shoa und des Widerstandskampfes gegen die Nazis geht das gar nicht.
Mein Vater musste gleich nach Hitlers Machtübernahme 1933 Deutschland verlassen. Er landete zunächst im Exil in Prag. Von dort aus und unter erbärmlichen Bedingungen mehr oder weniger passiv mitzuerleben, wie alles immer schlimmer und schlimmer wurde, machte ihn fertig.
Europa starrte auf Hitler und ja, es erstarrte. In einer Mischung aus Angst und Hochmut bastelte Europa am Appeasement, anstatt sich klar zu machen, wie groß die Gefahr war. In der dämlichen Hoffnung, man könnte den Teufel besänftigen, indem man ihm als Brosamen die Tschechoslowakei zuwirft, belohnten sie die Nazis für ihre Aggression. Heute wissen wir, dass dies den Krieg nicht verhindert, sondern beschleunigt hat.
Als mein Vater deshalb auch Prag verlassen musste, schlug er sich nach Spanien durch, um dort für die Republik zu kämpfen. Er hatte einen langen und sehr gefährlichen Weg hinter sich gebracht, als er endlich mit einer realen Waffe in der Hand seine realen Feinde bekämpfen konnte. Das war eine große Erleichterung für ihn.
Mir steckt das in den Knochen. Appeasement ist Ermutigung. Wir Kinder der Ermordeten wissen, wie entscheidend Wehrhaftigkeit ist. Und wenn ich heute in die Runde schaue, wissen es auch die Jesidinnen, die Sinti und Roma, die Ukrainer, die geflüchteten Frauen aus dem Iran, die Opfer islamistischer Milizen in verschiedenen afrikanischen Ländern und die Israelis.
Die Aggressoren von heute lassen sich nicht durch gutes Zureden aufhalten. Und schon gar nicht durch Appeasement, das sich viele wünschen. Sowohl gegenüber Russland, als auch gegenüber der Hamas. Wer verlangt, dass sich die Angegriffenen nicht wehren sollen, um nicht weiter zu provozieren, versteht nichts von totalitären Aggressoren.
Weshalb verstehen das viele nicht? Vielleicht weil sie die Nachfahren jener sind, die am letzten Weltkrieg am Ende vor allem anderen bedauerten, ihn verloren zu haben. Diese Position macht es leichter, Kriege nicht zu unterscheiden und eben gegen jeglichen Krieg zu sein.
Als ehemaliger Aggressor, der trotz allem in Demokratie und Wohlstand gelandet ist, ist diese Sicht nachvollziehbar, aber billig. Nach meinem Eindruck entstand daraus eine Haltung, die die Feinde der liberalen Demokratie mit sozialpädagogischem Blick betrachtet. So als könne man sie wie bei akzeptierender Jugendarbeit beruhigen. Das aber hat schon bei den Skinheads nicht funktioniert. Appelle und Beschwichtigungen helfen nur, wenn Aggressoren wie Russland und der Iran mit ihren Proxies, genau wissen, dass die Wehrhaftigkeit der demokratischen Welt kein leeres Wort ist, keine Kulisse, keine hohle Nuss, sondern ein Fakt.
Nein, ich bin keine Pazifistin, weil ich weiß, was der Frieden kostet. Fast 80 Jahre Demokratie und Wohlstand in Europa gibt es nur, weil die Nazis besiegt werden konnten. Damit es so bleibt, unterstützen wir heute die Ukraine gegen Russland und Israel gegen den Iran.
Anetta Kahane war Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.