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Am 6. März 2022 setzte sich Jaroslawa Mahutschich in Dnipro, der viertgrößten Stadt der Ukraine , mit ihrem Freund, ihrer Trainerin und deren Mann in ein Auto. Tagelang fuhren sie in Richtung Westen, an der Grenze zu Moldau wartete die Fahrgemeinschaft fünf Stunden. Unterwegs hörten sie immer wieder Explosionen und Luftschutzsirenen, so erzählte es Mahutschich
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Jaroslawa Mahutschich: Die Friedensbotschafterin mit Weltrekord

Am 6. März 2022 setzte sich Jaroslawa Mahutschich in Dnipro, der viertgrößten Stadt der Ukraine, mit ihrem Freund, ihrer Trainerin und deren Mann in ein Auto. Tagelang fuhren sie in Richtung Westen, an der Grenze zu Moldau wartete die Fahrgemeinschaft fünf Stunden. Unterwegs hörten sie immer wieder Explosionen und Luftschutzsirenen, so erzählte es Mahutschich später. Nach drei Tagen und mehr als 2.000 Kilometern waren sie im serbischen Belgrad angekommen, übernächtigt und kaputt. Aber rechtzeitig zum Hochsprung-Wettkampf der Frauen bei der Hallenweltmeisterschaft.

Mahutschich, damals 20 Jahre alt, übersprang 2,02 Meter. Während ihr Heimatland von russischen Angriffen verwüstet wurde, wurde sie Weltmeisterin im Hochsprung. “Das ist eine Goldmedaille, die ich den Ukrainerinnen und Ukrainern widme, und dem Militär, das unser Land im Land schützt. Und ich schütze mein Land auf dem Sportplatz.”

An diesem Sonntag, etwas mehr als zwei Jahre später, geht Jaroslawa Mahutschich als große Favoritin in den olympischen Hochsprung-Wettbewerb. Das liegt auch daran, dass die Ukrainerin vor ein paar Wochen schon einmal in Paris war. Nicht im olympischen Stade de France, sondern knapp zwanzig Kilometer südlich im Stade Charléty, beim Diamond-League-Meeting. Sie hatte den Wettbewerb schon gewonnen, da ließ sie sich die Latte noch einmal höher legen: auf 2,10 Meter. Weltrekordhöhe.

Sie nahm elf Schritte Anlauf, dann drückte sie sich mit ihrem linken Fuß ab – und flog. So hoch wie noch keine Hochspringerin vor ihr, zum Weltrekord, gleich im ersten Versuch. Sie schrie vor Freude, schlug sich die Hände vors Gesicht und hüpfte über die Tartanbahn, in die Arme ihrer Trainerin. Lange umarmten sich die beiden, es war ein weiter Weg von Dnipro bis nach Paris.

“Endlich habe ich die Ukraine in die Geschichte der Weltleichtathletik aufgenommen”, sagte Mahutschich nach ihrem Rekordsprung. Wäre es nach ihrem Team gegangen, hätte sie diesen Sprung gar nicht versucht. “Mein Trainer sagte mir, dass ich vielleicht aufhören sollte, weil die Olympischen Spiele vor der Tür stehen – natürlich sind die wichtiger. Aber ich fühlte, dass ich es schaffen kann, und, um ehrlich zu sein, wollte ich den Weltrekord.” Dieser Weltrekord war nicht irgendeiner. Die Bestmarke von Stefka Kostadinova stand seit dem Jahr 1987, es war einer der ältesten Leichtathletik-Rekorde.

Nach den Wettkämpfen von Belgrad, den ersten nach Beginn von Putins großer Invasion, wollte Mahutschich verständlicherweise nicht mehr in die Ukraine zurück. Sie kam erst in Herzogenaurach unter, bei ihrem Sponsor Puma, der damals insgesamt 110 Athletinnen mitsamt ihren Kindern aufnahm. Dann lebte sie eine Zeit lang in der Nähe von Heilbronn, im Hochsprung-Örtchen Eberstadt, in dem jahrzehntelang eines der hochklassigsten Hochsprung-Meetings der Welt stattfand. Seit vergangenem Jahr lebt und trainiert sie in Belgien.

Sie springt für die 487 toten Athleten

Seit Beginn der Invasion kämpft Mahutschich dafür, Aufmerksamkeit auf die russische Invasion in ihrem Heimatland zu lenken. Auf ihren Social-Media-Profilen teilt sie Fotos von zerstörten Trainingsplätzen, kürzlich ein Video von den Überresten ihrer ersten Sportschule in Dnipro, die bei einem Raketenangriff verwüstet wurde. Bei ihrem WM-Titel in Belgrad trug Mahutschich Lidschatten in Blau und Gelb, immer wieder hat sie bei Wettkämpfen ihre Fingernägel in den ukrainischen Farben gefärbt. “Ich fühle mich als ukrainische Botschafterin. Viele Familien werden immer noch angegriffen. Es ist so traurig, dass viele Athleten und Trainer in diesem Krieg gestorben sind”, sagte sie im Mai dem amerikanischen Sender CNN.

Nach Angaben des ukrainischen Olympischen Komitees sind bisher 487 Athleten im Zuge der russischen Invasion gestorben, darunter auch frühere Olympiateilnehmer wie der Gewichtheber Oleksandr Pjeljeschenko, der bei den Spielen von Rio Vierter in seiner Gewichtsklasse geworden war.

Zum Einsatz für ihr Heimatland gehört für Mahutschich auch der Protest gegen die Teilnahme von russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten. “Wenn ich russische Athleten sehe, dann sehe ich zerstörte Städte und Leben, die von russischen Menschen und der Russischen Föderation zerstört wurden”, sagte sie CNN. Für sie sei es schwer, gegen Athletinnen aus Russland und Belarus anzutreten. Bei der Freiluft-WM 2022 in Eugene drückte sich Mahutschich noch drastischer aus: “Ich will einfach keine Mörder auf der Bahn sehen”, sagte sie.

Bloß kein Boykott

Während russische und belarussische Athleten in vielen anderen Sportarten unter der neutralen Flagge antreten dürfen, hat sich der Weltleichtathletikverband World Athletics dazu entschieden, sie von jeglichen Wettbewerben, also auch den Olympischen Spielen, auszuschließen. Jaroslawa Mahutschich wird am Sonntagabend nicht mit Frauen um die Wette springen müssen, die das Land repräsentieren, das in ihrer Heimat so viel zerstört hat.

Klar war für Mahutschich aber immer, dass sie so oder so für ihr Heimatland bei den Olympischen Spielen antreten würde. Auch, als Wadym Hutzajt, der ehemalige ukrainische Sportminister und jetzige Vorsitzende des Olympischen Komitees, mit einem Boykott der ukrainischen Delegation drohte, sollten russische und belarussische Athleten antreten dürfen.

Mahutschich war dagegen, die Spiele in diesem Fall zu boykottieren. “Jeder Athlet will sich dem Wettbewerb stellen, und jeder will diese Goldmedaille gewinnen”, sagte sie. Vor drei Jahren in Tokio gewann Jaroslawa Mahutschich die Bronzemedaille, am Sonntagabend könnte es Gold werden. Womöglich springt sie wieder mit gelb-blauen Fingernägeln. Wie eine Botschafterin das eben tut.

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